Institut Deutsche Adelsforschung
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Ambivalenter Umgang mit thüringischen Herrenhäusern

Behandlung adeliger Schlösser und Gutshäuser 1945 bis 1990

Herrenhäuser, zumeist auch noch im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Ostelbien im Besitz des Adels, stellten vielfach das Ideal ländlichen Lebens des Adels dar, waren ein Raum der Sozialisation der Generationen, Ausdruck ostentativen Konsums und der ständischen Distinktion sowie des antiurbanen Lebens. [1] Dieses sowohl mit dem realen als auch dem symbolischen Ort „Herrenhaus“ tradiertes Lebensmodell der Gruppenbildung der Gentilhommerie war indes nicht nur Heimstatt adeligen Lebens vor Ort in der Provinz, sondern auch lokales oder gar, wie im Falle von Standesherrschaften, [2] regionales Herrschaftszentrum. Doch in der Formierungsphase der Moderne erhielt dieses Modell des Zusammenlebens auf dem Lande Risse; Rechte des Adels wurden seit 1848 und der deutschen Revolution eingeschränkt, 1918 der Adel der letzten Vorrechte entkleidet, 1945 gar wurden etliche Adelige von ihren Wohnstätten vertrieben, [3] waren geflüchtet oder hatten sich aus Angst vor Repressalien am Kriegsende suizidiert. [4] Der Raum indes blieb derselbe, wurde jedoch von anderen Bewohnenden in Beschlag genommen, die zugleich auch eine Neuverwendung vornahmen. Für die leerstehenden Herrenhäuser, die einst für eine elitäre Vergangenheitsanreicherung standen, [5] mußte nun erneut Verantwortung übernommen, mußten Entscheidungen hinsichtlich ihrer Nutzung oder Funktion getroffen werden. Die Machthabenden der sowjetischen Besatzungszone und der DDR wurden somit vor die Aufgabe gestellt, auch für diese scheinbar „aus der Zeit gefallenen“ Immobilien eine Verwendung zu finden und standen vor der Notwendigkeit, mit ihnen auf irgend eine noch zu bestimmende Weise umzugehen.

Dies geschah, wie nun eine neue Publikation zeigt, durchaus auf ambivalente Weise. So gab es in der sowjetischen Besatzungszone 1948 offizielle Bestrebungen, 130 Herrensitze als Kulturgut für das Volk zu erhalten. [6] Andererseits existierte seitens der Besatzung aber auch der bereits 1947 geäußerte Befehl zum Abbruch von Herrensitzen, um Baumaterial für Neubauernsiedlungen zu gewinnen. [7] Hier machte sich daher eine Verschiebung der Zeitpriorität bemerkbar. Galten Herrensitze ehedem als lebendige Mittelpunkte adeligen Lebens, in denen zusätzlich Vergangenheit materiell und ideell gespeichert worden war, [8] so sollten sie nun, in der Gegenwart der Baustoffmangelsituation nach dem zweiten Weltkrieg unter anderem als Materiallieferanten dienen. Dazu notierte beispielhaft Lemmer (1948): „In den Spalten der Blätter ist in jüngster Zeit die Behandlung der Agrarreform in den Vordergrund des allgemeinen Interesses gerückt. Nach Lage der Dinge kann das nicht überraschen, verwunderlich könnte höchstens erscheinen, daß dieses für unser Volk nicht erst in der Gegenwart brennende Problem nicht frühzeitiger schon die Geister zu lebhafter Diskussion geweckt hat. In den breiten Bevölkerungsschichten, vor allem in der Stadt, wird es jedenfalls seit der Ankunft der ersten Flüchtlingsströme aus dem Osten mit besonderem Interesse erörtert.

Auf dem Land, in Gegenden mit starkem Großgrundbesitz, hat der Landhunger der Kleinbauern und Landarbeiter die Forderung nach Aufteilung des Großbesitzes nie von der Tagesordnung verschwinden lassen. Das Flüchtlingsproblem trug auf jeden Fall stark zur Ingangsetzung der seit einiger Zeit so intensiven allgemeinen Diskussion über Bodenreform und Parzellierung des Großgrundbesitzes bei, die nun – selbst in den von ganz anderen Schwierigkeiten geplagten Großstädten – die öffentliche Meinung, wie wir sehen, beinahe zu beherrschen beginnt. 

Abertausende Bauern, durch eine politische Katastrophe entwurzelt, der sie sich wie einem übermächtigen Naturereignis fügen, suchen ein Stück Erde. Die lebensentscheidende Aufgabe während der nächsten Jahre in Deutschland ist die Sicherung der Volksernährung durch ein Maximum an bäuerlicher Leistung […] Bei genauerer Prüfung ergibt sich, daß dieses elementare Ereignis in all seiner epischen Wucht, der Drang der Vertriebenen nach neuer Erde mitten im Kampf eines geschlagenen Volkes gegen die Drohung des Hungers, nicht Ursache einer politischen Entwicklung, sondern konzentrische Wirkung in einem schon überfälligen geschichtlichen Prozeß ist, der sich seit fast zwei Jahrhunderten vollziehenden Liquidierung des Feudalismus. Der Großgrundbesitz liegt, historisch betrachtet, als ein ungeheuerlicher Anachronismus in unserer Zeit […]

Da es sich hier aber nur zufällig um eine Folgerung aus der Flüchtlingsnot und in Wahrheit um eine seit mehr als vier Generationen wirkende Entwicklung handelt, wird sich die Teilung der verbliebenen Latifundien, diese Umsetzung antiker landwirtschaftlicher Gerechtsame in unverbrauchte bäuerliche Kraft, planvoll, umsichtig und gewissermaßen wissenschaftlich vollziehen. So entspricht es zudem dem deutschen Charakter in seiner stets zur eigenen Ordnung drängenden Eigenart. In den sehr zahlreichen Aeußerungen der letzten Zeit zum Thema der Bodenreform sind die agrarwissenschaftlichen und -politischen Perspektiven dementsprechend ergiebig ausgemessen und sachverständig erwogen worden. Der Ruf nach der beträchtlich verspäteten Reform kann nicht mehr – wie in der Zeit der republikanischen Osthilfe – von konservativen Interessen als spontane städtische Unbesonnenheit angezweifelt werden. Außer den Parzen haben die Nationalökonomen das Für und Wider begutachtet. Gegen die Argumente der letzteren pflegt man bei uns, im Unterschied zu denen der Geschichte, seltener zu opponieren.

Die politische Verfassung eines Landes entspricht auch seiner bäuerlichen Verfassung. Die Weimarer Republik ist unter anderem deshalb gescheitert, weil sie dieses Gesetz nicht zur Kenntnis genommen hat. Während die geschriebene Verfassung Fortschritt und Demokratie verhieß, blieb die bäuerliche Verfassung, durch den Einfluß der ostelbischen Großagrarier bestimmt, in weiten Gebieten in der Entwicklung stecken. Ohne die Erfolge und praktischen Ergebnisse der Siedlungstätigkeit bis 1933 gering einzuschätzen oder gar zu leugnen, kann jedoch nicht übersehen werden, daß sie unzureichend waren, daß die politischen Widerstände latent blieben. 

So war es natürlich – und widernatürlich nur auf dem Papier und dem Parkett – , daß die echten und die juristischen Nachfolger der Feudalherren sehr bald einen Pakt mit jenem Hitler schlössen, der Verträge (auch Gesellschaftsverträge) für Papierfetzen, Demokratie für Schwachsinn, die Zivilisation für Dekadenz und die Mitglieder feudaler Cliquen für geeignete Schrittmacher seines bedenkenlosen Machtstrebens hielt. Dankbar halfen sie ihm in den Sattel. In Bad Harzburg dokumentierte man seine praktische Sympathie im offenen Bündnis. Und später trat, wer auf sich und seine Klitsche hielt, der SS bei. Keiner der Beteiligten bemühte sich, die enge Verbindung zwischen Junkertum und Nazismus zu verschleiern.

Die deutschen Soldaten, die mit dem letzten Alarm zur näherstürmenden Ostfront kommandiert wurden, haben meistens leere Herrenhäuser vorgefunden. Ihre Besitzer spürten beizeiten das Ende, zu dessen Anfang sie soviel beigetragen haben. In unfreiwilliger Demonstration haben sie jenen historischen Vollzug anerkannt, den für ihren verantwortlichen Anteil das Gesetz ihnen zumessen muß. Es ist ein geschichtliches Gesetz.“ [9]

Lemmer zufolge waren die Herrenhäuser damit Symbole der Herrschaft über die Bauern, entsprechend verständlich waren daher auch die bei späteren sozialistischen Funktionär*innen (der DDR) auftretenden ablehnenden Haltungen gegenüber diesen Bauten, die mehr waren als nur bloße Wohngebäude; vielmehr können sie, auch wenn es viele nichtadelige Besitzende von Herrensitzen gegeben hatte, als zumindest vielfach wahrgenommener Statusindikator des Adels gelesen werden.

Die neuen Nutzungsmotive der ehemaligen und nun leer stehenden Herrensitze verschoben sich nach einer Liminalitätsphase, vielfach gekennzeichnet durch Plünderung oder oder die Verwendung als Flüchtlingsunterkunft, oft hin zu praktischen Erfordernissen und Verwendungen. Dies bedeutete entweder den Abriß oder aber die ökonomische Umwidmung von Herrenhäusern in Sanatorien, Schulen oder „Feierabendheime“, in denen Senior*innen der DDR ihren Lebensabend verbringen sollten. [10]

Dabei fiel es bislang schwer, die genaue Stoßrichtung dieser sich widerstrebenden Neigungen und vor allem die Wirkung der Herrensitze zu ermitteln. Das Changieren zwischen einer „damnatio memoriae“ und einer Neubestimmung dieser Adelsbauten hat nun Thomas Bienert für den Bereich Thüringen in einer neuen Publikation dargestellt. Er zeigt darin, wie ambivalent die Nachkriegsmachthabenden der DDR mit den Herrensitzen umgingen. [11]

Erhalten blieben in Thüringen demnach 130 Bauten dieser Art, 84 Häuser wurden in der sowjetischen Besatzungszone bis zur Gründung der DDR abgerissen, in der DDR dann 27 Objekte, und in der Zeit seit der Wiedervereinigung bis heute noch einmal neun Herrenhäuser oder Schlösser (Bienert, Seite 37). Zum Vergleich sei erwähnt, daß allein in Sachsen bis 1951 wesentlich mehr Herrensitze aufgrund des Befehls Nr. 209 zerstört wurden (120 Gebäude), bis 1989 und in der DDR wurden dort weitere 80 Herrensitze abgebrochen, seit 1990 bis 2014 noch einmal elf Häuser. [12] In Brandenburg wurden bis 1949 jedoch bereits 139 von 963 damals noch stehenden Herrensitze abgerissen. [13]

Über die Zeit kann mithin in den Bundesländern Thüringen und Sachsen ein Nachlassen der Abrißintensität festgestellt werden, die vor allem in ihren Anfängen und ihrer Motivik als Hybridisierung aus alltäglichen Notwendigkeiten der Bevölkerungsversorgung einerseits und mentefaktischer Neuorientierung andererseits [14] verstanden werden kann. 

Für den letztgenannten Aspekt waren indes teils erhebliche Neuinterpretationen der bisherigen Adelsgeschichte notwendig; so notierte beispielhaft ein Anonymus (1950) mit Rückgriff auf das historische Bauernlegen, dessen Folgen nun mit der Bodenreform beseitigt werden sollten: „Die reaktionären Kräfte wandten sich gegen die entschädigungslose Enteignung der Junker und Großgrundbesitzer. Sie traten mit der Behauptung auf, daß damit das Privateigentum verletzt würde. Aber das Gegenteil war der Fall. Durch die demokratische Bodenreform wurde das Privateigentum der Bauern wiederhergestellt, welches durch die räuberische Politik der Junker aufgehoben worden war. Das Recht wurde wiederhergestellt und die Junker und Großgrundbesitzer erhielten als Hauptschuldige an der Not des Volkes ihre gerechte Strafe.“ [15]

Auf diese Weise sollten Maßnahmen gerechtfertigt werden, wie sie in Tempelberg stattfanden: „Das klassizistische Gutshaus, 1945 zerstört, ist abgetragen.“ [16] Die Vertreibung der Besitzenden wurden zudem dadurch legitimiert, daß es sich bei den Vertriebenen um „Junker“, „Landarbeiterschinder“, „Bazillenträger der Reaktion“ und die „Brutstätten des preußischen Militarismus“ gehandelt habe. [17]

Jedoch nicht alle Legitimationen verliefen in diese Richtung. So schrieb weitaus differenzierter ein anderer Anonymus (1948): „Es hatte eine Zeitlang den Anschein, als ob die Organisationen und deren Leiter, die für die Erhaltung und Bewahrung wertvoller und wichtiger Kunst- und Kulturgüter verantwortlich sind, für die Öffentlichkeit etwas in den Hintergrund geraten waren. Einen starken Auftrieb konnte man bei und nach der ersten großen Tagung der Museumsfachleute der sowjetischen Zone im Herbst vorigen Jahres in Dresden feststellen. Dabei wurden zum ersten Male die furchtbaren Verluste, besonders der Bilder- und Kunstmuseen der großen Städte wie Berlin, Dresden, Leipzig und Magdeburg deutlich. Andererseits stellte es sich heraus, daß noch so viel Kunst- und Kulturgut erhalten war, daß sich ein energisches Weiterarbeiten lohnte. Dem Inspirator der Museumstagung, Dr. Gerhard Strauß, Abteilungsleiter der Deutschen Verwaltung für Volksbildung, gebührt das Verdienst, durch diese Tagung das Interesse der Öffentlichkeit geweckt zu haben. Nunmehr nahm Dr. Strauß Anlaß, in einem Vortrag: `Kulturdenkmalpflege als neue Aufgabe´, den er im Auftrag der Kommission `Bildende Kunst´ des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands hielt, das wichtige Thema der Erhaltung wertvoller Kultur- und Kunstgüter, besonders Denkmäler und Bauten, abzuhandeln. 

Dr. Strauß wies darauf hin, daß die deutsche Kulturdenkmalpflege bereits einige Jahrzehnte alt ist, aber früher nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit gearbeitet hat. Förderer waren damals Angehörige der oberen Stände: Adel, hohe Regierungsbeamte, Professoren der Universitäten und der Technischen Hochschulen u. a. Die Kulturdenkmalpflege muß aber in die breite Öffentlichkeit getragen werden. Es ist heute z. B. nicht zu vermeiden, eine Anzahl Guts- und Herrenhäuser in der Zone abzubrechen, weil zur Zeit keine Möglichkeit besteht, die aus diesen Abbrüchen zu gewinnenden Baumaterialien auf andere Weise zu beschaffen. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß auch auf diesem Gebiet mit großer Vorsicht vorgegangen wird. Die berühmten Harzer Bergschlösser in Ilsenburg, Quedlinburg, Wernigerode und Blankenburg werden nicht abgerissen, sondern den Zwecken der Allgemeinheit dienstbar gemacht. Man wird sie für Erholungsheime, Museen und Kulturmittelpunkte erhalten und einrichten, und sie werden damit zweifellos eine Verwendung finden, die von der Bevölkerung nicht nur gebilligt, sondern auch anerkannt wird. Andererseits bestehen weder bei den Fachleuten noch bei der Bevölkerung auch nur die geringsten Bedenken, Denkmäler (Standbilder), die gar keinen anderen Zweck zu erfüllen hatten, als der Verherrlichung der Dynastie und des Militärs zu dienen, ohne daß sie einen künstlerischen historischen Wert haben, aus der Öffentlichkeit zu entfernen.“ [18]

Bienert zeigt jedoch, daß es seitens der Denkmalpflege und einiger lokaler Bevölkerungen durchaus partiell Widerstände gegen Herrensitz-Umwidmungen in Thüringen gegeben hat. Beispielsweise notierte ein Anonymus (1946) derartige Kritik: „Kürzlich beklagte sich ein Wahlredner der CDU darüber, daß die `schönen Herrensitze angeblich´ respektlos und ohne Sinn für Tradition behandelt würden. Wir haben allerdings keinen Sinn für die Raubritter- und Kriegstreiber-Tradition Preußen-Deutschlands […] In unserem einfachen marxistischen Menschenverstand und Menschengefühl sind wir der Meinung, daß kein Schloß und kein Herrensitz zu gut ist, als daß er nicht dem Volke und seiner Gesundheit dienen soll.“ [19] Auch Leser*innenbriefe gegen den Abriß bestimmter Herrensitze wurden durchaus in der DDR-Presse veröffentlicht. [20]

Damit differenziert Bienert das bisherige Forschungsbild gänzlicher Herrensitzfeindlichkeit der Sowjets ebenso wie der DDR-Oberen, stellt diesem Bild Einzelfälle entgegen, auch wenn er schließlich konstatiert: „Es gab Denkmalvernichtung, manchmal ohne Not und manchmal fanatisch“ (zitiert nach ibidem, Seite 36). So hieß es beispielsweise von Neubauern, daß sie Hand an die ehemaligen Adelssitze gelegt hätten: „Viele trugen dabei den jahrhundertelangen Groll ihrer Vorfahren im Herzen, und mit dem Abriß der Schlösser ihrer Peiniger wollten sie auch die äußeren Wahrzeichen deren ehemaliger Herrschaft beseitigen.“ [21]

Bienert indes läßt den sich an einen einleitenden Teil mit der Erläuterung der Entstehung und Umsetzung des SMAD-Befehls 209 und der Abbruchpraxis in der DDR und Nachwendezeit befassenden Ausführungen (Seite 7-38) die Detailarbeit folgen; hier benennt und zeigt er in Wort und Bild die abgebrochenen Bauten mit ihrer jeweiligen individuellen Kurzgeschichte (Seite 39-222). Dazu gehören auch etliche nach Kreisen sortierte Verzeichnisse, die aufzeigen, in welchen obrigkeitlichen Listen welche Objekte zum Abbruch freigegeben worden waren. Erfolgten Abrisse trotz Nennung auf einer der Listen nicht, so belegt Bienert das in jedem Einzelfall; er kommt zu dem Ergebnis, daß die Abrißplanung nicht ohne Abstriche mit der späteren Realität der Umsetzung gleichgesetzt werden könne. Beschlossen wird der Band mit zwei Aufsätzen, einmal zu Herrensitzen des Adels im Eichsfeld und zu durchgeführten ostthüringischen Neubauernsiedlungen.

Bienerts Publikation ist somit als äußert gelungen zu bezeichnen und reiht sich ein in eine (noch) kleine Menge ähnlicher neuerer Studien, die erst jetzt, im 21. Jahrhundert, vermehrt erscheinen und über die Schicksale der ehedem adeligen Herrenhäuser aufklären, [22] nachdem „im Westen“ bis zur Wiedervereinigung von 1990 häufig nur Daten zum Schicksal der Familien, die geflüchtet waren, publiziert worden sind. Der damit einhergegangene Stillstand der Erinnerung, ihre Eingefrorenheit, wird daher mit derlei begrüßenswerten Veröffentlichungen aufgehoben. [23]

Diese Rezension stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., B.A. und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung im Jahrgang 2020.

Annotationen:

  • [1] = Dazu siehe Carl Gregor Herzog zu Mecklenburg: Erlebnis der Landschaft und adliges Landleben. Einführung und Bibliographie zum Verständnis der Landschaft und eines deutschen Standes von 1870 bis zur Gegenwart, Frankfurt Main / Berlin / Wien 1979, 219 Seiten.
  • [2] = Dazu siehe beispielhaft Georg Michael Klausa: Freie Standesherrschaften, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XXVIII, Kirchbrak 1989, Seite 28-32.
  • [3] = Dazu Matthias Donath: Gedenken an die Opfer von Internierung und Deportation in Colditz, in: Der Sächsische Adel e.V. (Hg.): Nachrichtenblatt Verband Der Sächsische Adel – Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Band 40, Haltern-Holtwick 2012, Ausgabe Nr. 80, Seite 5-6.
  • [4] = Exemplarisch dazu Flotow / Ehrenkrook: Familiennachrichten (Rubrik: "Freiwillig aus dem Leben schieden"), in: Flotow / Ehrenkrook (Hg.): Flüchtlingsliste Nr. 2 (Dezember), Westerbrak 1945, Seite 13-14.
  • [5] = Dazu notierten Luc Boltanski / Arnaud Esquerre: Bereicherung – Eine Kritik der Ware, Frankfurt am Main 2018, 125: „Als patrimoniales Gebäude par excellence bildet das Schloss den zentralen Gegenstand, indem sich das Gefühl der Zugehörigkeit zum Adel verkörpert, weil in ihm die Beziehung zwischen einem Namen, einem Titel und einer Geschichte eine materielle Wurzel findet.“
  • [6] = Siehe dazu Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Sammlung SMAD-Befehle, Signatur: BArch DX 1/641: SMAD-Befehl Nr. 44/48 betreffend die Erhöhung der Sozialrenten und Vermehrung von Erholungsheimen und Sanatorien vom 18. März 1948.
  • [7] = Siehe dazu Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Signatur BArch Z 47 F, 7317/8/12: SMAD-Befehl Nr. 209 über die Maßnahmen zum wirtschaftlichen Aufbau der neuen Bauernwirtschaften (Bodenreformbauprogramm) vom 9. September 1947.
  • [8] = Dazu siehe a) Lea Hillebrenner Pind: Landskab, veje og herregården, in: Britta Andersen (Hg.): Herregårdshistorie 10, Gammel Estrup 2015, Seite 123-131, b) Sabine Bock: Haben Häuser einen Stammbaum? Wie sich der Bautyp „Herrenhaus“ entwickelt hat, in: Kilian Heck / Sabine Bock / Jana Olschewski (Hg.): Schlösser und Herrenhäuser der Ostseeregion. Bausteine einer europäischen Kulturlandschaft, Schwerin 2017, Seite 301-358, c) Heike Düselder: Von den Menschen und den Dingen in den „hochadelichen Häusern“ – Das Adelshaus als Ort europäischer Geschichte, in: Maarten van Driel / Bernhard Pohl / Bernd Walter (Hg.): Adel verbindet. Elitenbildung und Standeskultur in Nordwestdeutschland und den Niederlanden vom 15. bis 20. Jahrhundert, Paderborn / München / Wien / Zürich 2010, Seite 155-178.
  • [9] = Ernst Lemmer: Demokratisierung des Bodens, in: Berliner Zeitung (Berlin), Ausgabe Nr. 97 vom 5. September 1945, Seite 1.
  • [10] = So meldete die Neue Zeit (Ost-Berlin), Ausgabe Nr. 118 vom 26. Mai 1951, Seite 6: „Bergen (Rügen). Von etwa 160 mecklenburgischen Altersheimen erhielten 18 besonders vorbildlich eingerichtete und betreute Heime den Ehrennamen: `Feierabendheim´. Unter diesen befindet sich auch das größte kreiseigene Heim des Landes, das Schloß Ralswiek auf Rügen, der ehemalige Sitz des Grafen Douglas. Das Schloß gehört zu den schönsten Bauwerken der Insel und ist durch seine herrliche Lage besonders gut geeignet für seinen jetzigen Zweck. Es ist jetzt Heimat für 150 Alte.“
  • [11] = Thomas Bienert: Aus den Augen, aus dem Sinn? Verlustkatalog Thüringer Schlösser, Guts- und Herrenhäuser nach Befehl Nr. 209 der Sowjetischen Militäradministration 1946 bis 1949 sowie in der Zeit der DDR und der Gegenwart bis 2015, erschienen als Band 50 der Reihe „Neue Folge der Arbeitshefte des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie) in der Verlagsgruppe Kamprad (Reinhold-Verlag), Altenburg 2019, broschiert, Format 21,00 x 29,70 cm; zahlreiche teils farbige Abbildungen, 248 Seiten, ISBN 978-3-95755-026-2, Preis: 20,00 Euro, herausgegeben vom Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie.
  • [12] = So die Zahlen nach Matthias Donath, niedergelegt bei Stefan Locke: Leise aus der Verantwortung gestohlen, in: Deutsches Adelsblatt – Magazin der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände (Kirchbrak), Jahrgang 53, Ausgabe Nr. 5 vom 15. Mai 2014, Seite 20-26.
  • [13] = Nach einem Bericht des Ministers des Innern, Bernhard Bechler (1911-2002), der den Abriß von nur 139 Gebäuden „als unzureichend“ bezeichnete und sich mehr Abrisse gewünscht hatte; dies gemäß Nomen Nescio: Bodenreform-Bauprogramm 1949 in Brandenburg, in: Neue Zeit (Ost-Berlin),Ausgabe Nr. 305 vom 31. Dezember 1948, Seite 2.
  • [14] = Ein Beispiel dafür ist die museumsdidaktisch sozialistisch umgesetzte gänzliche Verurteilung der „Junker“ im einzigen die Gentilhommerie als Lebens- und Sozialform stark angreifenden „Feudalmuseum“ der DDR auf Schloß Wernigerode, das zwischen 1949 und 1977 von über fünf Millionen Besuchenden besucht worden ist und so vermutlich erheblich am gewandelten öffentlichen (realsozialistischen) Bild „des Adels“ in der DDR mitwirkte; siehe dazu Claus Heinrich Bill: Das Feudalmuseum der DDR in Wernigerode 1959, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen Adelsgeschichte 3, Sonderburg 2017, Seite 26-27 sowie Claus Heinrich Bill: Das Feudalmuseum der DDR in Wernigerode 1977, in: Ibidem, jedoch Seite 28-29.
  • [15] = Nomen Nescio: Die demokratische Bodenreform – Ein ruhmreiches Blatt in der deutschen Geschichte, in: Neues Deutschland (Ost-Berlin), Ausgbe Nr. 205 vom 2. September 1955, Seite 3.
  • [16] = H. Berger: Tour zu Tempeldörfern – Hübscher Weg entlang zweier Seen, in: Neue Zeit (Ost-Berlin), Ausgabe Nr. 187 vom 9. August 1984, Seite 8.
  • [17] = Nomen Nescio: Unsere Bauern, in: Neues Deutschland – Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Ost-Berlin), Ausgabe Nr. 116 vom 7. September 1946, Seite 1.
  • [18] = Nomen Nescio: Kulturdenkmalpflege als neue Aufgabe – Ein wichtiges Arbeitsgebiet de Kulturbundes, in: Neues Deutschland (Ost-Berlin), Ausgabe Nr. 56 vom 6. März 1948, Seite 3.
  • [19] = Nomen Nescio: Erholung, in: Neues Deutschland (Ost-Berlin), Ausgabe Nr. 149 vom 16. Oktober 1946, Seite 1.
  • [20] = Otto Hartmann: Herrenhaus erhalten, in: Berliner Zeitung (Ost-Berlin), Ausgabe Nr. 86 vom 14. April 1959, Seite 6 (betrifft das Killisch von Hornsche Herrenhaus im Pankower Bürgerpark Bärchen).
  • [21] = Hanns Kannegießer: Worüber sprechen die Arbeiter mit den Bauern?, in: Neues Deutschland (Ost-Berlin), Ausgabe Nr. 290 vom 8. Dezember 1957, Seite 4.
  • [22] = Vorbildhaft in dieser Hinsicht ist die Doppelforschungsstrategie (Betrachtung der Geschichte der Familien im Westen nach 1945 und des historischen Umgangs mit den Herrenhäusern in Polen nach 1945, ausführlich in je getrennten Kapiteln) bei Simon Donig: Adel in Schlesien. Adel ohne Land – Land ohne Adel? Lebenswelt, Gedächtnis und materielle Kultur des schlesischen Adels nach 1945, Berlin / Boston 2019, 597 Seiten.
  • [23] = Typisch dafür waren die Erinnerungen von Edmund Gläser: Schloß Warmbrunn im Riesegebirge, in: Deutsches Adelsarchiv (Westerbrak), Ausgabe Nr. 63 vom November 1952 (ohne Tagesdatum), Seite 199-200. Hier endet das Erinnerungsnarrativ an das Haus, das sonst in seiner Geschichte ab 1506 ausführlich besprochen wird, 1945; der Fokus der Schilderungen nach 1945 liegt dann lediglich auf den wirtschaftlichen Aktivitäten der enteigneten und daher ehemaligen Besitzendenfamilie Warmbrunns (Gotthard Graf Schaffgotsch) in einer (1987 erst in den Konkurs gegangenen) Glashütte im ostwürttembergischen Schwäbisch Gmünd und damit im Westen. Siehe dazu auch fernerhin das Findbuch der 3,5 laufenden Meter Akten zur nach 1945 neu begründeten Josephinenhütte im Baden-Württembergischen Wirtschaftsarchiv an der Universität Hohenheim, Bestand B 164, Laufzeit 1950-1971.
 

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