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Der böse Arme und der gute ArmeLebensalltag im Landarmenhaus Benninghausen 1844 bis 1891 (Rezension)Wo Menschen zusammenleben, bilden sie gemeinschaftliche Gebilde, die man Gruppe, Rotte, Stamm, Clan oder Gesellschaft nennen kann. Das Zusammenleben von Menschen auf engem oder weitem Raum erfordert automatisch diese Gliederung, die in gedachten großen Zusammenhängen von denen manifestiert wird, die innerhalb dieser Gesellschaften Privilegien besitzen und in der Lage sind, Macht über andere Gesellschaftsmitglieder auszuüben. [1] Diese ungleiche Machtverteilung ist ebenfalls ein natürlicher Reflex jeder Gesellschaft, die in Europa früher, vor der Französischen Revolution, vor allem eine ungleiche Verteilung von Sanktions- oder Belohnungsmitteln beinhaltete. Macht war zudem sozial geregelt: Geburt und Stand beherrschten lange Zeit in Europa den Zugang zu bestimmten Privilegien, sie waren rechtlich fixiert. Zu dieser Zeit bestanden nur wenig Chancen für Angehörige sozialer Unterschichten oder Randgruppen, ihrer gesellschaftlichen Exklusion oder Marginalstellung zu entkommen. Denn zugleich mit diesen Rechten war auch eng die Frage nach Reichtum und Armut verknüpft: Je mehr Rechte eine Person innerhalb eines sozialen Gefüges, sei es nun staatlich, in Vereinen und Verbänden, in Gruppen oder Religionen, innehatte, desto mehr Chancen bestanden auch auf materiellen Reichtum. Aber: Je weniger Privilegien eine Person besaß, desto geringer waren auch die Chancen zu Wohlstand zu gelangen. Es gilt also: Die soziale Frage begleitet den Menschen als anthropologische Grundkonstante durch seine gesamte Geschichte, wurde freilich hier und dort unterschiedlich ausgeformt. So bestand zwar im frühneuzeitlichen Südamerika die Chance, daß auch Arme zu größtem Reichtum aufsteigen konnten, [2] aber in aller Regel galt der Grundsatz der engen Verzahnung zwischen Privilegienüberfluß und Reichtum sowie Privilegienmangel und Armut. Erklären läßt sich dies mit Pierre Bourdieus soziologischen Kapitalarten. [3] Bei Bourdieu sind soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital stark miteinander verknüpft und stehen in Korrelation zueinander, die man mit einer hydraulischen Analogie nach visualisieren könnte. [4] Stellt man sich die drei Kapitalarten als Tank oder Behälter mit Flüssigkeiten vor, die durch Rohre miteinander verbunden sind, so wird deutlich, daß die Veränderung eines der Behälter durch Ausgleich des Flüssigkeitsstandes der anderen Tanks ausgeglichen wird. Werden dem Rechtebehälter Flüssigkeiten zugeführt (hier wäre zu denken an eine Nobilitierung, die Verleihung von Zunftrechten, die Graduation zum Doktor, die Ernennung zum König oder zur Gottheit et cetera), so steigen auch die Pegel der anderen Behälter an: Der oder die Betreffende wird dann, konformes und das heißt gesellschaftlich akzeptables Verhalten des Individuums vorausgesetzt, auch zusätzlich mit sozialen und ökonomischen Kapital geflutet. Im Beispielfall ließe sich daher zuspitzen: Adel (Nobilitierung) schafft neues soziales (Wechsel des sozialen Netzwerkes, z.B. an den Hof eines Fürsten) und ökonomisches Kapital (Erwerb von Grundbesitz und Akkumulation neuer Rechte wie Leibeigenschaft, ortspolizeibehördliche Privilegien et cetera). Auf der anderen Seite heißt dies: Wird an einem der drei Tanks Flüssigkeit abgelassen oder ist ein Tank leckend, so nehmen auch zumeist die Pegelstände der übrigen Behälter ab. Der Mangel an ökonomischem Kapitel zieht den Mangel an sozialem und kulturellem Kapital nach sich und das gilt zumeist auch für alle anderen möglichen Kombinationen. Dies läßt sich am Beispiel der Suspensionen des Adel in Preußen bis 1870 belegen, denn bei Individuen, die des Adels verlustig gingen, schlug zuerst entweder der ökonomische oder der soziale Behälter leck, die Pegelstände fielen danach, teils gleichmäßig, teils ungleichmäßig oder in temporärer Ungleichzeitigkeit. [5] In den meisten Fällen zog ein Verlust an ökonomischen Kapitel auch hier den Verlust an sozialem und kulturellem Kapital nach sich, weil die Adeligen bereits vor dem Adelsverlust „arm“ waren, also einen oder mehrere Ressourcenmangel erlitten. Dazu ein Beispiel: Franziska Ludovika Wilhelmine Antonie v.Cederstolpe war 1833 geboren worden (nach anderen Angaben 1835), jedenfalls als siebentes Kind des Königlich Preußischen Capitäns Hans v.Cederstolpe (1784-1840) aus schwedischem Adel und einer Postsekretärstochter, Nichte des gleichsam adelsverlustigen Ferdinand v.Cederstolpe (Adelsverlust 1858). Sie absolvierte zuerst einen Schulbesuch im ostpreußischen Bartenstein. Nach dem Tod des Vaters verringerte sich durch ein Leck der ökonomische Kapitalbehälter: Ihre versorgungslos gewordene verwitwete Mutter ehelichte den Unteroffizier Goldberg. Seitdem hatte sich die Franziska v.Cederstolpe in Königsberg in Preußen "durch ihre Hände-Arbeit und als Dienstmädchen ihren Unterhalt erworben, ist jedoch gegenwärtig so in Armuth versunken, daß sie im Arbeitshause Aufnahme gefunden hat." Um ihren ökonomischen Kapitalbehälter zu füllen, griff sie zu moralisch und juristisch fragwürdigen Mitteln: Diebstahl. Die Folge war im Jahre 1864 eine Untersagung der bürgerlichen Ehrenrechte auf 1 Jahr und der dadurch verursachte Adelsverlust.6 Ökonomischer Kapitalmangel nach Bourdieu zog also meist auch sozialen und kulturellen Mangel nach sich. Oder umgedreht: Wer sich als Adeliger nur noch wenig mit seinesgleichen traf, also keine personalen Netzwerke mehr pflegte (Nomina si nescis, perit et cognitio rerum ), verlor schließlich auch ökonomisches und kulturelles Kapital. Dies galt ebenso für Nichtadelige, wie dies von Eva-Maria Lerche in ihrem neuen Buch Alltag und Lebenswelt von heimatlosen Armen am Beispiel der Insassenschaft des 1820 gegründeten Landarmenhauses Benninghausen in Lippstadt (Kreis Soest) in der preußischen Provinz Westfalen für die Jahre 1844 bis 1891 untersucht worden ist. [7] So hat Lerche festgestellt, daß die Handlungsalternativen von Armen ununterbrochen ökonomischen Zwängen- oder mit anderen Worten einem Mangel an ökonomischem Kapital - determiniert worden sind. Dem versuchten die in Benninghausen inkorporierten Landarmen durch eine economy of makeshifts zu entkommen (Seite 184), der zwar immerhin einige Handlungsspielräume eröffnete, aber grundsätzlich doch zu einem Abnahme der Pegelstände führte. Temporäre Arbeitsnah- oder -fernmigration bis hin zur Auswanderung in die USA (Seite 170), oder, wie beim Landarbeitshaus Güstrow nachweisbar, nach Brasilien, [8] war beispielsweise eines der Mittel, mit denen Landarme versuchten, ihren ökonomischen Kapitaltank zu füllen. Aber, so Lerche: Die Bedürftigkeit von Landarmen in Westfalen war durch durch die Arbeitshaushaft nicht etwa verbessert worden, sondern oft erst ein Grund für kontinuierliche Armut. Das Landarmenhaus Benninghausen war also in der Realität teilweise, trotz des fortschrittlichen Ansatzes einer unterstützenden Support- und Fürsorgeanstalt, zu einem Produzent von Armut geworden, zu einem Leckschläger im Bourdieuschen Kapitalmodell. Dabei hatte alles sehr humanistisch begonnen: Das Landarbeitshaus wurde aus aufklärerischen Motiven heraus gegründet (Non nobis solum nati sumus), aus einer Idee der sozialen Gerechtigkeit, der imagnierten Vorstellung einer vernunftmäßig erfaßten besseren Lebenswelt für alle Gesellschaftsglieder, aus einem wenn auch noch nicht demokratischen, so doch menschlichen Moment heraus, der inhärent den Menschen als Individuum und Seele wahrzunehmen schien, und der ihn nicht nur als eine beliebig austauschbare und auszubeutende Arbeitskraft ansah. Dennoch unterschied der Entwurf böse und gute Arme. Zwar stellte das Armsein - mithin die mangelnde Verfügbarkeit an den drei Ressourcen - für die Eliten des Staates eine Schande dar, die im Sinne der aufklärerischen Ziele beseitigt werden sollte, aber diese Schandbeseitigung war ethisch formuliert und eingefaßt: Arme, die sich den Zielen der herrschenden Gesellschaftskultur unterwarfen, genossen Unterstützung durch die Landarmenversorgung, wie sie unter anderem im Armenpflegegesetz von 1842 zum Ausdruck kam (Lerche, Seite 59-71). Arme, die sich nicht den Normen der Kultur unterwarfen, wurden dahingegen als Zymoma der Gesellschaft betrachtet sanktioniert und benachteiligt: Sie erfuhren Zwangsarbeit und Arbeitshaushaft zur sogenannten Correction, indem ein antikapitalistischer Müßiggang als aller Laster Anfang im christlichen Sinne konstruiert wurde. Was unter Müßiggang zu verstehen war, muß jedoch genau definiert werden. Dabei wurden ehrenvoller Müßiggang der Oberschichten in Form des Prestigedenkens und unehrenhafter Müßiggang der Unterschichten in Form der aktiven Arbeitsverweigerung oder der unverschuldeten Arbeitslosigkeit unterschieden. Müßiggang an sich war daher nicht per se lasterhaft: Es war lediglich die Frage, von wem er ausgeübt wurde. [9] Allerdings wurden bestimmte Laster paradoxerweise auch von der Oberschicht befördert: Durch die regelmäßige Verabfolgung von Bier und die Verteilung von Tabak an die Insassenschaft unterstützten die Betreiber des Landarmenshauses zu Benninghausen ungewollte Formen der Yvresse und Drogenabhängigkeit (Seite 271-272). Der entstandene Konflikt des vitiösen Müßiggangs der Unterschichten, die in Benninghausen als Xystos ausgetragen wurden, resultierte dabei aus den Werthaltungen unterschiedlicher Schicht-Kulturen. Sie verteilten sich dichotom und können mit den vier Werträumen Erhaltung, Selbstbetonung, Selbsttranszendenz und Veränderung zusammen gefaßt werden. Gemäß diesem Werteraum von Kulturen nach Schwartz [10] läßt sich aufzeigen, wie sehr divergierend die Werte beider Gruppen waren. Die Behörden und der Staat standen für Werte der Räume Erhaltung und Selbstbetonung (mit den Aspekten Autorität, Einfluß, Macht, Reichtum, Kompetenz, Sicherheit, Zugehörigkeit, Gesichtswahrung, Ordnung, Gehorsam, Disziplin, Frömmigkeit), der Vagabund oder Landarme für die Räume Selbsttranszendenz und Veränderung (mit den Aspekten Freiheit, Unabhängigkeit, Autonomie, Selbstwert, Gerechtigkeit). Es prallten daher regelmäßig unterschiedliche Grundhaltungen dem Leben gegenüber aufeinander, dies sich zwar teils wechselseitig beeinflußten und auch im Laufe des Lebensverlaufs eines Individuums changieren konnten, jedoch auch schichtspezifisch mit determiniert waren: Ober- und Mittelschichten waren eher leistungs-, belohnungs-, intentions, akzeptanz-, zukunfts-, konzeptorientiert, Unterschichten eher mißerfolgs-, bestrafungs-, ergebnis-, gehorsams-, gegenwarts- und spontan orientiert. [11] Ähnliche Divergenzen findet man auch, wenn man die Wertehaltung der beiden sich gegenüberstehenden Gruppen nach dem Dimensionskulturmodell der Betriebswirtschaftler Hofstede & Hofstede betrachtet. Diese unterscheiden fünf verschiedene Dimensionen von nationalen Kulturen, die sich allerdings auch auf gesellschaftliche Subkulturen ein und desselben nationalen Raumes beziehen lassen (denn auch nationale Kulturen setzten sich aus Subkulturen mit unterschiedlichen Werthaltungen zusammen). Hofstede & Hofstede unterscheiden dabei Soziale Ungleichheit einschließlich des Verhältnisses zur Autorität, Beziehungen zwischen Individuum und Gruppe, Vorstellungen von Maskulinität und Femininität, Unsicherheitsbewältigung sowie kurzfristiges versus langfristiges Denken. [12] Auch durch dieses Wertemodell lassen sich Behörden und Landarme klassifizieren: Behörden und Staat besaßen ein geordnetes Verhältnis zur Autorität und übten diese als Verstärker von Machtressourcen aus, die Landarme erdulden passiv mußten oder als Akteure ausweichen (ohne jedoch selbst Autorität ausüben zu können, denn der Bereich der Benninghausener Insassenschaft erschöpfte sich höchstens in einem in Grenzen autopoietischen System der Selbstautorität). Behörden und Staat agierten zudem als Gruppe, die Insassen eher als Individuum, außer bei Rebellionen oder Aufständen der Gefangenen und Arbeitenden, die jedoch von Lerche für Benninghausen nur in Ansätzen nachgewiesen werden konnten (Seite 301 unten bis 302 oben), anders als beispielsweise im Landarbeitshaus Güstrow, für das im Jahre 1823 ein Insassenschafts-Aufstand dokumentiert ist. [13] Zu den Vagabunden, also den Nichtseßhaften, die die Behörden seßhaft machen und utilisieren wollten, zählten indes sehr unterschiedliche Gruppierungen: Umherziehende Künstler, Bärenführer, Tanzhundführer, Artisten, Akrobaten, Jenische, Sinti und Roma, in Westfalen speziell die Mäckes (Seite 171-175) wurden als Turbation verstanden. Sie und andere Randgruppen wurden auf diese Weise der Correction durch das Landarmenhaus Benninghausen marginalisiert, exkludiert, stigmatisiert und kriminalisiert. Wie konnte dies geschehen bei all den positiven Formulierungen der Gründungszeit? Erklärbar ist die Einteilung in böse Arme und gute Arme nur durch das begrenzte Theoriegerüst der Moral, welches der Gesellschaftsstruktur seinerzeit im XIX. Jahrhundert eigen war. Dieses Jahrhundert war geprägt von der Veränderung der Ständegesellschaft hin zu einer Leistungsgesellschaft, in der alle diejenigen Gesellschaftsglieder den Kürzeren zogen, die diesen Wandel nicht mitvollziehen konnten. Sichtbare und meßbare Leistungen war zum Gradmesser von Tüchtigkeit und Ansehen geworden und wer keine ökonomisch faßbaren Leistungen bringen wollte, wurde verurteilt. Dabei wurden unverschuldet Arme, Kriminelle, Obdachlose, Künstler, fahrendes Volk und Alkoholiker als eine Gruppe wahrgenommen. Dafür spricht die Konstruktion nicht nur des Landarmenhauses Benninghausen, sondern auch das vergleichbarer Armen- und Arbeitshäuser: Sie waren zumeist eine Kombination aus Pflege- und Erziehungsanstalt für Erwachsene und Kinder unter einem Dach und einer Leitung. Damit war das Haus ein Ort der Pflege für gute Arme und der Bestrafung für böse Arme zugleich (Seite 283). Doch die Grenze zwischen den beiden Kategorien, welche die politischen Eliten, der Staat und die Behörden als guten Arme und als bösen Arme bezeichneten, war semipermeabel: Gute Arme konnten bei Widersetzlichkeiten schnell zu bösen Armen werden. Und böse Arme, die sich dem Zwangsarbeitssystem beugten, ihr heimatloses Vagabundentum aufgaben und sich gut führten, konnten zu guten Armen avancieren. Darüber freilich wachte eine Beurteilung der Anstaltsleitung, anfangs zur entlassung aus Benninghausen zusätzlich auch das Sittlichkeitszeugnis eines Pfarrers notwendig (Seite 278). Doch die Insassenschaft war, worauf Lerche Wert legt, nicht automatisch mit sozialen Randgruppen identisch (Seite 394), besaß aber durchaus ähnliche Charakteristika. [14] Tatsächlich stellte sich gelegentlich der erwünschte Effekt ein, daß Insassen seßhaft wurden. Aber es gab auch Fälle, in denen erst die Haft im Landarmenhaus Benninghausen zur dauerhaften Bedürftigkeit führte (Seite 181). Lerche hat dies in ihrer ausführlichen Mikrostudie nachgewiesen und sieht daher das Landarmenhaus kritisch. Sie untersucht dabei nicht nur die gesetzlichen Grundlagen, sondern geht anhand von Biographien auf Lebensverläufe und -entwürfe auf die Insassenschaft ein, bevor sie sich dem Lebensalltag in der Anstalt widmet, den auftretenden Synergieeffekten, den intersozialen sowie intragruppalen Konflikten. Lerche entwirrt die soziale Gemengelage und macht deutlich, daß böse Arme und gute Arme resozialisierbar waren. Unterstützung war jedoch auch mit Disziplinierung verbunden, darauf hat bereits Michel Foucault (1926-1984) im vorigen Jahrhundert schon aufmerksam gemacht hat. [15] Viel geändert hat sich nicht bis heute: Auch Hartz-Geld-Empfänger werden seit im XXI. Jahrhundert (Hartz I., II., III. und IV.) zur Arbeit angehalten und diszipliniert, wogegen sich die Fraktion der Protagonisten eines bedingungslosen Grundeinkommens wendet. [16] Dies ist kein Wunder: Die Hartzkommission setzte sich aus Spitzenvertretern der deutschen Wirtschaft zusammen, also aus potentiellen Arbeitgebern. Allerdings sind die Disziplinierungsmaßnahmen weit weniger drastisch, auch wenn Betroffene bisweilen bei Ein-Euro-Jobbern ebenfalls von moderner Zwangsarbeit sprechen. [17] Lerches Werk ist ein klassisches volkskundliches und intradisziplinäres Werk: Eine Mikrostudie anhand der Insassenakten und der Biographien ohne zusätzliche sozialpsychologische, semiotische oder kulturwissenschaftliche Streuung. Aber: Die Insassenschaft wird aufgrund recht guter Quellenlage auch aus der Eigenperspektive und nicht nur aus der der Behörden gesehen; zahlreiche Selbstzeugnisse wie diverse Einlassungen oder Briefe konnten von Lerche herangezogen werden und laden zum Standpunktwechsel ein, der es ermöglicht, das Landarmenhaus nicht nur aus der Sicht der Obrigkeiten zu betrachten. Damit ergeben sich neue Blickwinkel, die die Insassenschaft nicht nur als Opfer, sondern auch als Akteure in der sozialen Frage beleuchten können (Seite 12). Lerches Fleißarbeit ist daher trotz ihrer innerdisziplinären Beschränktheit mit Gewinn zu lesen und gibt den ehemaligen Unterschichten Stimme und Profil, ohne dabei jedoch in ideologische Schubladen zu verfallen. Zudem bietet die (von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell geförderte und damit einer gewünschten Forschungsrichtungskultur angehörende) Untersuchung, mit der die Verfasserin 2008 in Münster promoviert wurde, ein Frühbeispiel des Versuchs der Lösung der sozialen Frage und einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Regional- und Lokalgeschichte der preußischen Provinz Westfalen wie dem Weichbild der Stadt Lippstadt. Diese Besprechung stammt von Claus Heinrich Bill und erschien zuerst in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung (2012). Annotationen:
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