Deutsche Besatzungspolitik im Baltikum 1915 bis 1945
Vorstellung zweier Neuerscheinungen des Schöningh-Verlages
zu Paderborn
Der Begriff der „deutschen Kolonisation im Osten“ hatte auf expansionslüsterne
Deutsche schon immer eine faszinierende Wirkung ausgeübt. In ihrer
Tradition in den imperialistischen Kolonisationen von „wilden Gegenden
der Neuen Welt“ stehend, die in der Menschheitsgeschichte vor allem für
die Kolonisation Afrikas, Australiens, Mittel- und Südamerikas standen,
aber auch andere Gebiete wie die Karibik umfaßten, waren sie das,
was sich einige Deutsche als Optimum der gesellschaftlich-politischen Entwicklung
des deutschen Volkes erdacht hatten.
Begleitet wurden diese Kolonisationsbestrebungen stets von einer
territorialen Ausweitung des eigenen Staatsgebietes und der Errichtung
von wirtschaftlich und politisch abhängigen Dependancen. Dabei war
auffallend, daß vor allem solche Gebiete Zielländer von Kolonisationen
wurden, die einen reichen und ökonomisch ausbeutbaren Ressourcenvorrat
besaßen, der im Mutterland nicht in jenem Maße wie im Ausland
zu finden war. Hierbei handelte es sich um Bodenschätze, [1] fremde
landwirtschaftliche Erzeugnisse und deren Verarbeitungsprodukte (Drogen
wie Tabak oder Alkohol), aber auch um menschliche Arbeitskraft. Auffallend
indes war, daß stets solche Gegenden zu Kolonien gemacht wurden,
die einen „fortschrittlichen“ Niederstatus gegenüber den Deutschen
besaßen.
Kolonisieren ließ sich nur, wer technisch und verwaltungsbeziehentlich
von den Deutschen in einem „Rückstand“ begriffen wurde oder dort,
wo die Verteidigung gegen die deutschen Okkupationen nicht hinreichend
genug durchgeführt werden konnten. Abgesehen vom gleichberechtigten
Handelsbetrieb waren aber Kolosiationen in den schlimmsten Fällen
zugleich auch militärische Inbesitznahmen, war die Kolonisation eine
Zwangsmaßnahme, die mit Gewalt durchgesetzt wurde. Doch auch geistige
Kolonisation durch christizistische Missionare, die versuchten, Einheimische
in fremden Ländern von Ihren Glaubenssystemen abzubringen, gehörten
zur in bestimmten Fällen zur gewalttätigen Kolonisation.
Das Kennzeichen dieser kolonisatorischen Gewalt war die Unfreiwilligkeit
und die Anwendung von militärischen oder massenpsychologischen Mitteln
zur Bezwingung und Modifikation einer bisher mehr oder minder intakt funktionierenden
indigenen Gesellschaft. Diese Fremdbeeinflussung durch europäische
Kolonisatoren konnte teils in einem Genozid enden, teils wurde sie auch
geschickt von den zu Kolonisierenden mit Gegengewalt beantwortet und die
Europäer in ihre Schranken verwiesen. Ein Beispiel für einen
schleichenden Genozid ist die Ausrottung der Huronen durch französische
Siedler und Missionare (vor allem die Einfuhr von Feuerwaffen und Alkohol)
in Nordamerika im XVII. Jahrhundert, [2] ein Beispiel für abgewehrte
Kolonisationsbestrebungen die Beschränkungen, die europäischen
Händlern in Japan zuteil wurden. Es war also in erster Linie der Abwehrstrategie
der „Kolonisationsopfer“, die über Wohl und Wehe eroberter Gebiete
entschied.
Neben dem Statusunterschied in der technischen Entwicklung fällt
außerdem auf, daß Kolonisatoren von einer ausufernden Ressourcengier
gekennzeichnet waren, die sie im eigenen Lande nicht glaubten decken zu
können. Aus den verschiedensten Gründen, sei es Knappheit an
Nahrung, Bodenschätzen, eine Unzufriedenheit mit politischen heimatlichen
Verhältnissen, Großmannssucht und eigene Bedeutungslosigkeit
oder auch nur Abenteuerlust, wurden Kolonien angelegt oder der Versuch
der Anlegung von Kolonien unternommen.
Die ausdrückliche Betonung dieses Aspektes - der deutsche Adel
sei ein Herrenstand und berufen zur Kolonisierung von „Wilden“ und „Unterentwickelten“
- war ein bewußte Selektion, die in Zusammenhang mit der Erstellung
einer sozialen und gruppalen Identität stand. Die Anführung von
geschichtlichen Umständen ist stets eine identitäre Selbstvergewisserung
der Gegenwart und der herrschenden Eliten der Gegenwart, gleich in welchem
Staat oder in welcher Gesellschaft.
Dabei war die Entscheidung, welche historischen Gegebenheiten für
eine gruppale Identitätsbildung und -pflege verwendet werden, immer
eine bewußt andere Alternativen ausschließende Entscheidung.
Die Anführung geschichtlicher Aspekte ist damit zugleich immer auch
eine eingeschränkte und fokussierte Sichtweise, die stets nur bestimmte
Umstände betont und andere verschwiegt oder kein Interesse für
sie zeigt.
Geschichtliche Erinnerung ist demnach stets eine gewollte Konstruktion
von eigener individueller oder sozialer Vergangenheit. Daß
damit sehr unterschiedlich umgegangen wird, zeigen die von den Verursachern
als historische Tatsache in der Gegenwart anerkannte „Shoa“ (Genozid an
den Juden durch Deutsche 1939-1945) und der von den Verursachern als historische
Tatsache in der Gegenwart nicht anerkannte „Aghet“ (Genozid an den Armeniern
durch Jungtürken 1915-1916). [3]
Die unterschiedlichste Beurteilung und Integration oder auch Desintegration
und Umwidmung historischer Ereignisse und damit spezielle Formen der geschichtlichen
Traditionspflege besitzen somit eine große Bedeutung zur Klärung
der eigenen gegenwärtigen Selbstvergewisserung und der Schaffung und
Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes, das sowohl durch positive
Erinnerungen als auch negative Reminiszenzen geprägt sein kann. Im
Falle des deutschen Adels als ehemaliger Stand wurde vor allem die positive
Seite der Kolonisation hervorgehoben.
Sie wird namentlich und durch die Jahrhunderte hinweg mit einer
erstaunlichen Kontinuität und in Form einer Erinnerungsmeme reproduziert
und angewendet. [4] Diese Adelsmemetik war systemimmanent: Der historische
niedere Adel an sich war herrschsüchtig [5] und arbeitete im Auftrag
von Hochadeligen mit dem Moment der Gewalt über potentielle Fremde,
die - bei Wahrung und Sicherung eigener Interessen (Ämter, Ländereien,
Pfründe) - zu eigenen und dienstpflichtigen Untertanen gemacht werden
sollten.
Die Zusammengehörigkeit zwischen dem Adel und der Gewaltanwendung
kriegerischer Art gehörte stets zusammen: Die Eroberung fremder Gebiete
und die Veränderung von Gesellschaften waren adeliges Allgemeingut,
wie sie in der Idealfigur des Ritters, materiell mustergültig ausgedrückt
im symbolischen Reiterstandbild am Bamberger Dom, ihren sinnfälligen
Ausdruck fand: Der Krieg als Kommunikationsform war in der Adelsethik „edel“,
das Kriegshandwerk und das berufsmäßige Töten anderer Menschen
war „Herrenarbeit“ - und brachten das bei Standesgenossen und außenstehenden
hoch angesehene Prestige. [6]
Die Idee vom „Adel“ - auch unabhängig vom rechtlichen
Stand - und die Idee „Kolonisation“ - sei es innere der äußere
Kolonisierung - waren demnach seit jeher auf das Engste miteinander verwoben
und bedingten einander. Adelige betrachteten sich per se als Kolonisatoren,
als Befruchter und Bearbeiter, als Höherentwickler, Züchter,
Kultivierer sowie Verfeinerer.
Und Kolonisatoren bezogen sich im Umkehrschluß auf den Begriff
„Adel“ und nahmen an, daß Kolonisation Adel bilde und erschaffe:
Wer kolonisiere, sei höherwertig, berechtigter, privilegierter und
damit, zumindest begrifflich, „von Adel“. Die enge Verwandtschaft und die
Wechselseitigkeit beider Gedankensysteme läßt sich vielfach
belegen. [7]
Für den deutschen Adel besaß dabei neben Afrika, das
erst im Vergleich zu anderen europäischen Reichen sehr spät zersiedelt
und ausgebeutet wurde, vor allem „der Osten“ eine systemimmanente Bedeutung,
deren Ursprünge im Mittelalter liegen. Die Ostkolonisation ist daher
auch in den zahllosen Familiengeschichten des östlichen deutschen
Adels eine schillernde Erinnerung, die wesentlicher Bestandteil der geschlechtsspezifischen
Identität nicht nur einzelner genealogisch zusammenhängender
Personalverbände (wie den v.Sydow [8] oder den v.Heydebreck [9]),
sondern des ganzen Adelsstandes war und auch im XXI. Centenarium noch ist.
Daran erinnert nicht nur das flämische und aus dem Mittelalter stammende,
später gern instrumentalisierte Volkslied „Nach Ostland geht unser
Ritt“. [10]
Der „Osten“ wurde dabei zunächst ohne spezifische territorialbezügliche
Grenzen bezeichnet und war ein Raum, der ohne genaue territoriale Abgrenzung
östlich der Reichsgrenzen lag - udn dadurch zu einem Vakuum wurde,
das mit inneren Bildern, Utopien und Visionen je nach Belieben und persönlicher
Ausgangslage gefüllt werden konnte. [11] Dadurch wurde „der Osten“
schlechthin zu einem Synonym für Eroberungs- und Kolonisationsbestrebungen
des deutschen Adels seit dem Mittelalter, als mit dem „Orden der Brüder
vom Deutschen Haus Sankt Mariens in Jerusalem“ (dem Deutschen Orden) im
XIII. Centenarium die ersten deutschen Siedler nach Preußen und Masuren
kam, [12] nachdem bereits früher ordensunabhängig durch westdeutsche
Fürsten Mecklenburg (Heinrich der Löwe) und die Mark Brandenburg
neu besiedelt worden waren.
An die enge Konnektivität zwischen „Adel“ und „Kolonisation“
erinnert nicht zuletzt die Euphorie, die den deutschen Adel ergriff, wenn
er nach einiger Zeit der Saturierung seiner Eroberungsbestrebungen wieder
„Neuland“ entdecken konnte. Dies war stets verbunden mit kriegerischer
Gewalttätigkeit, mit Zwang und Repressalien, auf die nun neuerdings
zwei Neuerscheinungen aufmerksam machen, die sich mit der Geschichte der
deutschen Besatzungen und Verwaltungsausführung „im Osten“ befassen,
deren Schwerpunkte auf dem XX. Jahrhundert liegen.
Christian Westerhoff beschäftigt sich in seiner Dissertation
„Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Deutsche Arbeitskräftepolitik im
besetzten Polen und Litauen 1914-1918“ [13] ebenso wie Sebastian Lehmann
im Sammelaufsatzband zu einer wissenschaftlichen Tagung mit dem Titel „Reichskommissariat
Ostland. Tatort und Erinnerungsobjekt“ [14] mit diesem Ideenkomplex.
Beider Standpunkt ist jedoch nicht der des Adels oder der Träger von
„Adelsideen“, sondern die der kritischen Forschung.
Beide zeitgenössischen Historiker setzen sich mit den negativen
Folgen der deutschen Kolonisation, in der Ukraine, im Baltikum und in Polen
auseinander, wie sie in den Jahren 1914 bis 1944 entstanden. Obgleich sich
beide Werke auf unterschiedliche Verwaltungseinheiten - bei Westerhoff
das „Generalgouvernement Warschau“ (1915-1918) sowie das „Land Ober-Ost“
(1916-1918) [15] und bei Lehmann das Reichskommissariat Ostland“ (1941-1944)
- beziehen, sind durch sie und mit ihnen doch gewisse Kontinuitätslinien
sichtbar, die von den mediävistischen Ostsiedlungen Heinrichs des
Löwen bis hin zum zeitgeschichtlichen Reichskommissariat Ostland im
Dritten Reich sichtbar werden.
In allen diesen Fällen seit dem Mittelalter bis zur Moderne
ergab sich „im Osten“ und vor allem jenseits der Grenzen Deutschlands eine
mehr oder minder kriegerische Eroberung, die anschließend durch die
Integration der neuen Territorien in den bestehenden Mutterstaat gekennzeichnet
war. Auf die Militärverwaltung folgte manchmal eine Zivilverwaltung,
in anderen Fällen aber blieben Militär- und Zivilverwaltung in
einer Kompetenzhand gebündelt. Gleichwohl lassen sich Ober-Ost und
Ostland nicht unbedingt in eine teleologische Linie setzen: Zwar ging es
beiden Grundideen zufolge um die Domestizierung der Zivilbevölkerung
und zugleich die ökonomische Ausbeutung der dortigen Ressourcen für
die deutsche Kriegswirtschaft, doch der entscheidende Unterschied war,
daß es den Führern von Ober-Ost im ersten Weltkrieg um eine
ethnische Manipulation, den Führern vom Ostland um eine ethnische
Eliminierung ging. [16]
Deutlich wird dies unter anderem an der Haltung des Gelehrten Kurt
v.Rümker (1859-1940) aus dem ersten Weltkrieg. Dieser Verwaltungsbeamte
gehörte einem erst 1896 geadelten mecklenburgischen Geschlecht an,
war zuletzt Doktor der Philosophie, Doktor der Agrarwissenschaften honoris
causa, ordentlicher Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin
und Königlich Preußischer Geheimer Regierungsrat sowie Pächter
von Emersleben bei Halberstadt. [17] Trotz seiner hohen Bildung verweigerte
der Militäragronom v.Rümker in Ober-Ost, wo er als landwirtschaftlicher
Funktionsträger aktiv war, die Einrichtung einer litauischen Landwirtschaftsschule
mit der Begründung, „die Litauer hätten sich als Volk noch nicht
weit genug entwickelt“. [18] Auch der Landrat außer Diensten Alfred
v.Goßler (1867-1946), der die Schulpolitik von Ober-Ost mitbestimmte,
dachte mit weitreichenden Befugnissen - er war Leiter der Militärverwaltung
Kurland in Mitau - ähnlich und faßte es durchaus nicht als perlusorisch
auf, wenn er anordnete, unter den Lehrern der Schulen alle „auszumerzen“,
die sich ins seinem Sinne als „unzuverlässige und schlechte Elemente“
herausstellen würden. [19] Für beide Funktionäre ging es
nicht um die Tötung von Einheimischen, sondern um die Ausschaltung
bestimmter Positionsträger aus dem öffentlichen Leben.
Mit Goßler wie mit Rümker wurden hier nur zwei Funktionäre
unter einer Vielzahl von Amtsträgern mit weitreichender Entscheidungsbefugnis
genannt. Mit diesen beiden adeligen Protagonisten verhielt es sich später
- in der Frage der Erinenrungskultur - ähnlich wie mit späteren
Funktionären im Ostland. Es ist - in beiden Fällen - bestenfalls
dem historischen Gedächtnis noch bekannt, daß sie „im Osten“
während des Krieges temporär Aufgaben wahrgenommen hatten, die
zumeist deutlich über ihren deutschen und damit heimatlichen Wirkungskreis
hinausreichten. Rümker war Pflanzenzüchter und Goßler wäre
als Landrat bestenfalls Vorsteher eines Landkreises gewesen. Beide aber
betrieben, wenn auch nur ausgestattet mit umschränkten Machtbefugnissen
über weite Gebiete, in Ober-Ost großräumige Volkstumspolitik.
Auch Wilhelm Freiherr v.Gayl (1879-1945) und Friedrich v.Schwerin
(1863-1936) wuchsen mit großräumigen Vertreibungs- und Siedlungsphantasien
über ihre beruflichen Grenzen hinaus. [20] Der Jurist und Corpsstudent
Gayl war Direktor der Ostpreußischen Landgesellschaft, bevor er in
Ober-Ost Chef der Militärverwaltung Litauen in Kaunas, später
unter Papen Reichsinnenminister wurde. Schwerin war Regierungspräsident
in Potsdam, hatte 1916 das Land Oberost bereist und Annexionspläne
in Denkschriften propagiert. [21] Alle diese Funktionäre erlagen dabei
dem Reiz „des Neuen“ und dem Reiz, selbst „Ostlandritter“ zu werden, die
Eroberung von Land in Form einer adeligen Memenwiederholung des Mittelalters,
eine Art reaktiviertes Reenactment mit echten Opfern, nachzuvollziehen
und einen neuen deutschen Satellitenstaat aufzubauen.
Aber nicht nur die Visionen und die Tätigkeit von adeligen
Verwaltungsbeamten in der Ostkolonisation ist für die historische
Betrachtung wertvoll, sondern auch die Konstruktion der Erinnerung daran,
die häufig legendenumwoben war. In der eigenen und fremden Reminiszens
waren diese ehemaligen Nobilitätsangehörigen vor allem Verwaltungsfachleute,
deren hervorragendstes Merkmal die Amtspfründen waren, auf die sie
im Privaten mit Stolz ebenso zurückblickten wie auf ihre organisatorischen
Fähigkeiten. [22] Ihren inhaltlichen, nationalistischen und damit
politische Veränderungswillen in den besetzten Gebieten zwangsweise
eine Germanisierung durchzuführen, blieben in der öffentlichen
Meinung zumeist außen vor und spielten nach 1945 und im demokratischen
Zeitalter so gut wie keine Rolle mehr. [23]
Begünstigt wurde diese Sicht, wenn überhaupt bekannt war,
daß sie „im Osten“ Aufgaben wahrgenommen hatten, durch die Diskontinuität
ihrer Kriegstätigkeiten, die meist nur wenige Jahre andauerte und
noch dazu im Ausland stattfand, bevor sie in ihr „altes Leben“ zurückkehrten.
Goßler beispielsweise flüchtete am Ende des zweiten Weltkrieges
von Schlesien nach Ostholstein, wo er 1946 als ehemaliger Berliner Casinogesellschaftler
auf dem Gut Testorf, nachdem er als schlesischer Flüchtling bei der
Familie v.Abercron in Holstein einen ländlichen Unterschlupf gefunden
hatte, [24] verblich. [25] Ein Gleiches galt für Hinrich Lohse, einen
ehemaligen Bankangestellten und den ersten Reichskommissar für das
Ostland, der sich nach 1945 eine Pension als ehemaliger Oberpräsident
von Schleswig-Holstein erstritt und bis 1964 in Holstein in Mühlenbarbek
auf dem Dorf lebte.
Aber es gab nicht nur personelle Parallelen zwischen Ober-Ost und
Ostland, auch eine weitere Gemeinsamkeit fällt mit der Betätigung
der Deutschen in ur- und frühgeschichtlichen Fragen auf. Hierbei wurden
Artefakte einer Vergangenheit ausgegraben und von Experten „deutsch“ gedeutet,
um die eigene Anwesenheit vor Ort zu legitimieren.26 Gemeinsam waren Ober-Ost
und dem Ostland fernerhin die Einstufung der einheimischen Bevölkerung
als mehr oder minder „rückständig“ oder gar „minderwertig“ und
der von den Deutschen angeeignete Habitus von „Kolonialherren“ und „Entdeckern“
[27] sowie teils, wie in Litauen im zweiten Weltkrieg, als „Befreier“.
In beiden kompliziert organisierten Verwaltungsstrukturen von Ober-Ost
und Ostland gab es zudem Kompetenzstreitigkeiten, wie sie an der Tagesordnung
waren und von Ludendorff (Ober-Ost) und Hitler (Ostland) auch bewußt
geschürt worden waren. [28] Allerdings war die Qualität dieser
Systemkonflikte unterschiedlich ausgestaltet. Denn die Reichskommissare
Ukraine (Erich Koch) und Ostland (Hinrich Lohse) standen nicht, wie vergleichbare
Reichskommissare für Norwegen (Josef Terboven) oder die Niederlande
(Arthur Seyß-Inquart) unmittelbar unter Hitler, sondern unter Ostminister
Alfred Rosenberg, [29] ein Umstand, der in sich bereits zu großen
Rivalitäten führte, die teils skurrile Züge annahmen, vor
allem, wenn die Beziehungsebenen zu anderen Entscheidungsträgern im
Ostland (Polizei, SS, Arbeitskräfte- und Volkstumspolitik) hinzukamen.
In allen Fällen jedoch blieb die Ostkolonisation ein wichtiges
Fundament auch des adeligen Selbstverständnisses, ein Teil des Standeserbes
und des Bourdieuschen kulturellen und materiellen Kapitals des Adels -
oder später - solcher Eliten, die sich als adelig verstanden oder
in deren Tradition stehen wollten. Und in allen diesen Fällen blieb
die gewalttätige Ostkolonisation und der Wunsch nach einer „plein
pouvoir“ ohne Pönitenzbewußtsein positiv besetzt, als „Aufbauleistung“,
[30] als „Kultivierung“, [31] als Errichtung „deutscher Sitte und Ordnung“
apostrophiert. [32] Zu den Protagonisten dieser Ideenwelt gehörte
bereits im Jahre 1926 beispielsweise der spätere NS-Widerstandskämpfers
Ewald v.Kleist-Schmenzin (1890-1945), dessen Gedanken symptomatisch als
adelige Memefigur aufgefaßt werden können: Er schwärmte
schon in der Weimarer Republik davon, „welch ein Jungbrunnen östlich
unserer Grenze erworbenes Kolonialland bei unbeschränkten Siedlungsmöglichkeiten
wäre,“ [33] dabei die für diese Vision notwendigen Gewaltmaßnahmen
über die Populace ausblendend.
Auch der ehemalige Oberförster und vormalige ostpommersche
Gutsbesitzer Fritz v.Bodungen (1879-1941), war ein Verfechter der Ostlandidee.
Er engagierte sich in der Weimarer Republik für die Landvolkbewegung
und war zudem Tannenbergbundmitglied und persönlich mit Erich Ludendorff
bekannt. Bodungen war außerdem Mitglied der tannenbergbundinternen
und seinerzeit nicht an die Öffentlichkeit getretenen "Arbeitsgemeinschaft
Landvolkangelegenheiten". Darin befaßte er sich seit mindestens 1932
vor allem mit der Auslegung der Landvolkziele des Bundes und der Planung
von Siedlungen reiner Artamanen- und Deutschvolkangehöriger, die in
Hundertschaften auf je 1.000 bis 3.000 ha Boden „den Osten“ besiedeln sollten,
um so wieder ein "Bollwerk deutscher Art" im „gefährdeten Grenzraum“
zu schaffen. [34]
Ein anderes Beispiel war der später in der BRD bekannte und
geschätzte Adelsrechtsexperte Thomas Freiherr v.Fritsch-Seerhausen
(1909-2006), der im Jahre 1941 im Offizierscasino zu Kauen als SS-Obersturmführer,
Funktionär im Generalkommissariat Lettland des Reichskommissariats
Ostland und Schulungsleiter, einen Vortrag auf der ersten Mitgliederversammlung
der NSDAP-Ortsgruppe hielt, in dem er auf die „geschichtliche begründete
Sendung des deutschen Volkes als Träger der Neuordnung im Ostraum“
hinwies. [35]
Etliche Ost-Anhänger verstanden den inneren Drang „nach Osten“
gar als transzendentes Erlebnis. Sie sprachen von „Aufgabe“, „Ruf“ oder
„Sendung“ und deuteten damit an, daß es höhere und überirdische
Wesen seien, die sie mit der Kolonisierung „des Ostens“ beauftragt und
auserwählt hätten. [36] Mit diesem Kunstgriff erhielten die Kolonisationsbemühungen
eine prestigeträchtige gottheitliche Weihe und es stellte sich für
die Protagonisten das Bewußtsein ein, daß sie in einem höheren
Willen als Werkzeug bester Absichten fungierten. Dadurch entstand eine
spirituell betonte „Ostmystik“, bei denen sich die Ausführenden mit
dem Willen ihrer Gottheit in Übereinstimmung wähnten.
Diese Mystik befähigte sie wiederum zu großem Fleiß
und einem ebensolchen „Aufbauwillen“, aber beeinträchtigte auch ihr
humanistisches Verantwortungsgefühl, da dies größtenteils
den herrschenden zeitgenössischen Ethiken entsprach und auch entsprechen
mußte, wenn die Protagonisten in ihrem System reüssieren wollten.
Dennoch gab es systemvergleichende Unterschiede: Für „Ober-Ost“ war
die Militärethik der OHL unter Ludendorff der maßgebliche Rahmen,
für das „Ostland“ die Rassenethik der NSDAP.
Bodungen, Goßler, Rümker, Gayl, Schwerin, wie auch Fritsch
und andere bezogen sich damit explizit auf die erwähnte Memetik des
Adels, die schon zuvor gepflegt worden war und schlossen sich einer Argumentationslinie
an, auf die sie offensichtlich kein Abandonnement leisten wollten. Die
erwähnte Meme setzte sich zudem im Adel durchaus fest, denn nach der
teilweisen und temporären Eroberung „des Ostens“ im zweiten Weltkrieg
bemühten sich etliche Adelige um vorgeblich „herrenlose“ Höfe,
Güter und Ländereien: Nikolaus Prinz von Oldenburg (1897-1970),
der sich, obwohl dieser Titel gar nicht mehr aktuell war, auch nach 1919
noch „Erbgroßherzog“ nannte (und im Adel auch noch so genannt wurde),
bewarb sich beispielsweise bei Himmler persönlich bereits im Jahre
1941 um „größere Güter“ im Osten nach Kriegsende. Auch
Ludolf v.Alvensleben (1901-1970), seines Zeichen SS-Offizier, wollte auf
ähnliche Weise reüssieren; er endete jedoch als NS-Flüchtling
in Argentinien und nicht auf einem Ostgut. [37]
Und immer dann, wenn neue Kolonisation „im Osten“ aktuell anstanden
und historisch legitimiert werden sollte, wurden diese historischen Reminiszenzen
im Adel hervorgehoben: Im ersten Weltkrieg ebenso wie im anfänglich
desorientierten, beschäftigungslos gewordenen und nach neuen Aufgaben
suchenden Adel der Weimarer Republik, [38] im Dritten Reich [39] und besonders
auch wieder im zweiten Weltkrieg, [40] wo selbst unbedeutende außereuropäische
adelige Kolonisatoren als Vorbild herangezogen wurden. [41] Die Memefigur
„Osten“ geisterte damit virulent durch den Adel vieler Epochen in Kultur,
Literatur, [42] Politik und Wirtschaft. Sie bot dem Adel, der in seiner
westdeutschen Heimat nicht zu reüssieren wußte, alles, was er
sich erträumte: Den Ruf zu einem „ritterlichen“ Abenteuer, materiellen
Reichtum, die Ausweitung und Installation von Macht, das Bewußtsein
einer "gerechten" Eroberung und den positiv betrachteten Transfer eines
angeblich „höher“ stehenden Fortschritts, Prestige, Renommage und
Ansehen. Kurzum wertete „der Osten“ als Folie die eigene Wertigkeit gruppalpsychologisch
auf.
Das traf auch teils, ohne dies verallgemeinern zu können, in
Einzelfällen und damit individualpsychologisch zu:
Der Antisemit Hans-Joachim v.Brockhusen-Justin (1869-1928), im
Jahre 1918 inoffiziell als Vertreter Goßlers de facto Chef der Verwaltung
der baltischen Lande, [43] war 1914 aus dem Staatsdienst entlassen worden,
freilich aus eigenen Stücken, um als Reserveoffizier des 1.Garde-Regiments
zu Fuß an der Front zu kämpfen. [44] Über Beziehungen seiner
familiären Netzwerke - er besaß in seinem Schwiegervater, Feldmarschall
Paul v.Beneckendorff und v.Hindenburg, einen mächtigen Förderer
- gelangte er dann nach Ober-Ost, wo er, wie er selbst in seinen Memoiren
betonte, die bedeutendste Zeit seines Lebens verbrachte.
Es ist daher nur folgerichtig, daß viele Adelige in den kolonisatorischen
modernen Ausläufern der mittelalterlichen Ostsiedlung, sowohl in „Ober-Ost“
im ersten als auch im „Ostland“ im zweiten Weltkrieg, tätig waren
und sich engagierten.
Die obersten Verwaltungsbeamten in Ober-Ost waren Adelige [45] und
auch im Ostland waren ehemalige Adelige, wenn auch bei weitem nicht mehr
in der Quantität wie im ersten Weltkrieg, an führender Stelle
an der Verwaltung der Ausbeutung, des „Antipartisanenkampfes“ oder gar
der Shoa beteiligt. 1942 waren in der Verwaltung des Ostlandes über
2.500 Reichsdeutsche beschäftigt; [46] wie viele Personen davon aber
dem vormaligen Adel angehörten, ist bisher jedoch mangels einem Erkenntnisinteresse
bei den Historikern noch nicht geklärt worden. An den Spitzen der
Hauptabteilungen des Reichkommisariats standen jedenfalls keine Ex-Nobilitäre,
doch unter den Generalkommissaren befand sich der baltendeutsche Doktor
der Staats- und Wirtschaftswissenschaften Theodor Adrian v.Renteln (1897-1946).
Auch der oben bereits erwähnte Thomas Freiherr v.Fritsch übernahm
im Ostland Führungsaufgaben: Er war Leiter der Verwaltungsabteilung
im Generalkommissariat Litauen unter Renteln, zugleich aber auch in Personalunion
weltanschaulicher Funktionär der SS, der bereits am 1.April 1929 der
NSDAP beigetreten war. [47] Als baltendeutsche Adelige wirkten im Generalkommissariat
Litauen außerdem Went v.der Ropp (*1903) als persönlicher Referent
des Generalkommissars, Thiess v.der Recke als Mitarbeiter im politischen
Referat, Richard v.Staden (1890-197) [48] als Leiter der Politikabteilung
(zugleich Erbherr auf Duckershof und weiteren Gütern in Livland) sowie
Johann Baron v.Grotthus als Sachbearbeiter für agrarpolitische Fragen.
[49]
Mit der Einrichtung des Reichskommissariats ergab sich daher eine
unerhoffte Möglichkeit für den mit einem weltlichen Bedeutungsverlust
versehenen deutschen Binnen- und auch den deutschen Baltenadel, kurzfristig
an neue und „standesgemäße“ Funktionen, das heißt in diesem
Falle Führungspositionen mit Machtfülle, zu gelangen. Mit der
Errichtung des Reichskommissariats schien geradezu eine Renaissance der
adeligen baltendeutschen Herrschaft am Horizont aufzuziehen.
Nicht von Adel dahingegen war der nur von seinem Namen her adelig
scheinende Jurist Dr. Dr. Hans-Otto von Borcke (1910-1989) als Leiter der
Hauptabteilung III. (Wirtschaft) des Generalkommissariats Lettland in Riga,
[50] der sich sogar die lettische Sprache selbst beibrachte. [51] Borcke
gehörte zuletzt, nachdem Lohse als Reichskommissar bereits im August
1944 mit angeblichen Kreislaufproblemen in den Westen geflüchtet war,
[52] noch im Oktober 1944 als "Bezirksdirektor" zum führenden Stab
des Generalkommissars für Lettland in Riga. [53] Der nichtadelige
SS-Sturmmann und Doppeldoktor der Jurisprudenz und der Staatswissenschaften
gehörte dem Adelsstand nicht an, da er 1922 mit dem Geburtsnamen Parnemann
lediglich infolge einer justizministeriellen Namensübertragung ohne
Adoption den Adelsnamen erhalten hatte. [54] Aus diesem Grunde wurde der
Akademiker auch als "Scheinadeliger" von der Adelsgenossenschaft betrachtet.
Im Ostland tätig war auch, obwohl er nicht zur Zivilverwaltung
gehörte, der SS-Hauptsturmführer v.Neurath, der sich Anfang des
Jahres 1942 mit einer "Peitschenaffäre" im jüdischen Ghetto von
Riga einen unrühmlichen Namen gemacht hatte und wegen Gewalttausübung
mit seiner Reitpeitsche strafversetzt worden war. [55]
Mit dem baltischen Freikorpskämpfer Walter-Eberhard Freiherr
v.Medem (1887-1945), der standesgemäß im Schloß zu Mitau
seinen Dienstsitz hatte, fand sich jedoch ein tatsächlicher ehemalig
titulierter Adeliger unter den Gebietskommissaren. [56] Medem, der auch
als Journalist tätig war, war auf das Engste mit dem Adelsstand verknüpft,
gestattete ihm doch die Deutsche Adelsgenossenschaft in der Weimarer Republik
lange Zeit die Leitartikel des Deutschen Adelsblattes zu verfassen. Er
flüchtete im Spätsommer durch den Lieferanteneingang seines Dienstsitzes,
nachdem überraschend der Schloßhof von Sowjets erobert worden
war. [57]
In der späteren Nachkriegserinnerung an diese Zeiten blieben
bei den Protagonisten allerdings weniger diese seltsamen Fluchtumstände,
sondern viel mehr die großen „Berufungen“, die ihnen übertragen
worden waren oder die sie im Windschatten der deutschen Kriegstätigkeiten
an sich gerissen hatten. Auf diese Legenden gehen im Übrigen auch
beide genannten Bücher ein. Sie beziehen sich nicht nur auf die historischen
Gegebenheiten, erschöpfen sich durchaus nicht im rein Empirisch-Deskriptiven,
sondern schauen in erweitertem Blickwinkel auch auf die Erinnerungskultur
der Protagonisten im Rückblick auf deren Wirken. [58] Für die
Protagonisten der Ostsiedlung blieb ihre Tätigkeit in der Erinnerung
eine positive Ordnungs- und Aufbaumaßnahme, während die Verantwortung,
die Beihilfe oder sogar Durchführung von Unterdrückung, Repressalien,
Zwangsarbeit und Genozid ausgeblendet wurden. So behauptete Ernst Wrisberg
1921, die Militärforstverwaltung Bialowies sei 1717/18 ein „Ruhmesblatt
in der deutschen Verwaltungsgeschichte“ gewesen [59] und ebenso sah Hinrich
Lohse, Ex-Reichskommissar Ostland, nach 1947 seine Tätigkeit als Zivilverwalter,
der mit nicht nur mit der Shoa nichts zu tun gehabt habe, sondern im Gegenteil
dem Holocaust nur entgegengearbeitet habe. [60]
In den beiden hier zu besprechenden Bänden aber wird die andere
Seite, die Kehrseite des Positivismus, dargestellt. Westerhoff sensibilisiert
die Lesenden für die Frage, inwieweit in Ober-Ost und im Generalgouvernement
Warschau die einheimische Bevölkerung zur Zwangsarbeit in der Land-
und Forstwirtschaft, in Berg- und Straßenbau herangezogen wurde [61]
und Lehmann macht darauf aufmerksam, daß der Holocaust auch im Reichskommissariat
Ostland stattfand, welchen Repressalien (Ghettoisierung, Zwangsarbeit und
Ermordung) auf die Zivilbevölkerung angewendet wurden, wie die Nachkriegszeit
mit den Tätern und Opfern umging und welches Selbstbild Täter
der Verwaltung entwickelten und verteidigten. Beide Bücher nehmen
die ganzheitlichere Sicht auf die deutschen Verwalter „im Osten“ unter
Kriegsbedingungen unter die Lupe, wobei es erstaunliche Parallelen, auch
in der Erinnerungskultur der Verklärung, gibt.
Vor allem der letzte Punkt wurde durch die jahrzehntelange Unerreichbarkeit
auswärtiger Akten und Dokumente begünstigt, die stets und fast
ausschließlich die deutsche Sicht der Protagonisten auf diese Zeit
heterogenisierte. Westerhoff wie Lehmann aber haben hier ein neues Kapitel
aufgeschlagen, da ihre Werke auch unter Benutzung von baltischen und russischen
Quellen entstanden sind. Das geweitete Blickfeld kann daher in beiden Fällen
auch zu einer Differenzierung des Ostbildes der Deutschen beitragen und
ist geeignet, bisherige eher einseitige Darstellungen vom „Volk ohne Raum“
[62] zu ergänzen und zu korrigieren. Mit beiden Werken wird die Deutungshoheit
der Ost-Protagonisten, die allzulange ihr eigenes Bild „vom Osten“ verbreiten
konnten, gebrochen und der wissenschaftlichen Erarbeitung des Themas eine
erhöhtes Gewicht verliehen, der Multiperspektivität Bahn gebrochen.
Bei Westerhoff ist die Entwicklung der Erforschung schon weiter
vorangeschritten, was sich er auch mit der länger zurückliegenden
Zeit zu tun haben mag; sie wendet sich daher einem Spezialaspekt - der
Zwangsarbeit - zu, während das Lehmannsche Werk versucht, über
Einzelfallstudien aus den unterschiedlichsten Bereichen des Reichskommissariats
Ostland ein Gesamtbild anzufertigen, auch wenn eine umfassende Geschichte
des Reichskommissariats Ostland immer noch aussteht. Ansätze für
solch eine Universalgeschichte dazu bestehen jedoch bereits seit jüngster
Zeit, beispielsweise vorbildlich für das Generalkommissariat Litauen
innerhalb des Ostlandes. [63] Aber für das Ostland insgesamt
steht zum Beispiel noch eine Klärung der Stellenbesetzungen aus, die
bisher nur bruchstückweise vorliegt, auch, weil die Behörde eine
endgültige Verwaltungsstruktur nie gefunden hatte, sondern den Anforderungen
der Territorialveränderungen von Zugewinn und TRückeroberung
durch die Sowjetunion immer hinterherhinkte. [64] Allein dieser Umstand
zeigt schon, welche Desidarte hier noch bestehen.
Mögen indes beide Publikationen dazu anregen, sich über
weitere „Ostfragen“ Klarheit zu verschaffen, nicht zuletzt, weil die in
Rußland, im Baltikum und in der Ukraine stattgefundene Geschichte
immer auch ein Teil der deutschen Geschichte ist und bleiben wird. Freilich
gilt auch: Ober-Ost und Ostland gehören im XXI. Jahrhundert als Negativfolie
zur Erinnerungskultur der wiedervereinigten BRD und tragen auf diese Weise
auch zur bundesdeutschen Identität als demokratischer Staat und der
Hochahltung der Menschenrechte sowie dem Schutz von Minderheiten bei. Aber
über dieses Kapitel - die Frage, warum sich eine Gesellschaft nur
mit speziellen Aspekten ihrer Vergangenheit besonders intensiv auseinandersetzt
- haben erst spätere Generationen von Historikern, Soziologen und
Kulturwissenschaftler zu schreiben und zu urteilen.
Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill und erschien zuerst
in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang
XIV (2011).
Annotationen:
-
[1] = Eine entsprechende Begehrlichkeit danach läßt sich
auch im Adel feststellen. Siehe dazu beispielhaft Walter Lammert: Das Donez-Becken,
einer der größten Kohlenbezirke der Welt, in: Deutsches Adelsblatt,
Jahrgang LIX. (1941), Seite 686-688
-
[2] = Karl Schormann: Der Untergang der Huronen, Bremerhaven 2002,
Seite 112
-
[3] = Dazu siehe weiterführend Elke Hartmann: Armenier im Osmanischen
Reich, in: Detelf Brandes & Holm Sundhausen & Stefan Troebst (Herausgebende):
Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische
Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts, Köln & Wien &
Weimar 2010, Seite 46-48 sowie Dieter Pohl: Juden, in: Ibidem, Seite 313-315
-
[4] = Unter „Meme“ wird hier gemäß eine Information aus
Vorstellungswelten und Glaubenssystemen verstanden, wie sie bei Rolf Breitenstein
definiert werden (Memetik und Ökonomie, Münster in Westfalen
2002)
-
[5] = Es soll nicht verschwiegen werden, daß der organisierte
deutsche Adel vor 1945 aber nicht nur nur am Herrschendenstatus Interesse
hatte, sondern auch Verpflichtungen in seiner Ethik kannte. Vielen war
es eine Selbstverständlichkeit, für die anvertrauten Lehen und
Ländereien und „ihre Leute“ zu sorgen. Wie in jeder Gruppe gab es
dabei patriarchalisch-hausväterliche, aber auch despotisch-diktatorische
Adelige. Es ist hier indes nicht der Ort, über derlei Ausrichtungen
in der Adelsethik zu referieren. „Der Ritt nach Osten“ sprach zunächst
einmal wegen des im Vordergrund stehenden Eroberungsfeldzugs und der darin
begründeten Vertreibungs- und Unterjochungspolitik deutlich die kriegerische
Seite des Adels an.
-
[6] = Zum adeligen Grundsatz „Ehrenvolle Taten sind nichts Anderes
als eine allgemein gebilligte Form von Aggression“ siehe Thorstein Bundle
Veblen: Theorie der feinen Leute, Köln 1958, Seite 35-39 und 277-278
-
[7] = Dies gilt nicht nur für ein populärwissenschaftlich-apologetisches
Werk wie das des Bibliothekars Johannes Rogalla v.Bieberstein: Adelsherrschaft
und Adelskultur in Deutschland, Limberg an der Lahn 1998, sondern auch
für das in vielen Auflagen als adelige Erinnerungkultur prägende
Publikation des Historikers Walter Görlitz (1913-1991) mit dem Titel
„Die Junker. Adel und Bauer im deutschen Osten. Geschichtliche Bilanz von
7 Jahrhunderten“, das erstmals 1956 in Glücksburg erschien und bis
1981 in vier Auflagen vertrieben wurde. Zu der positiven Aufnahme des Görlitzschen
Werkes im ehemaligen deutschen Adel siehe E.H. v.Groll: Junker aus historischer
Sicht, in: Deutsches Adelsarchiv, Jahrgang XIII., Melle 1957, Seite 24-27
-
[8] = Siehe hierzu vertiefend Ferdinand v.Sydow & Hans v.Sydow:
Genealogie der Familie v.Sydow, Hamburg 3.Auflage 1969 (Privatdruck als
Manuskript), wo auch von der Familie als typischer Kolonosationsfamilie
die Rede ist (Seite 3-4).
-
[9] = Hierzu siehe Hans Georg v.Heydebreck & Claus Heinrich Bill:
750 Jahre Heydebrecks. Die Familie v.Heydebreck vom Mittelalter bis heute
1254-2004, Limburg an der Lahn 2004
-
[10] = Horst Fuhrmann: Einladung ins Mittelalter, München 3.Auflage
2004, Seite 267. Der Liedtext lautet: „Nach Ostland geht unser Ritt, hoch
wehet das Banner im Winde, die Rosse, sie traben geschwinde, auf, Brüder,
die Kräfte gespannt: Wir reiten in neues Land. Hinweg mit Sorge und
Gram! Hinaus aus Enge und Schwüle! Der Wind umwehet uns kühle,
in den Adern hämmert das Blut, wir traben mit frohem Mut. Laut brauset
droben der Sturm, wir reiten trotz Jammer und Klage, wir reiten bei Nacht
und bei Tage, ein Haufe zusammengeschart, nach Ostland geht uns´re
Fahrt.“ Dieses Lied ist eine Umdeutung aus einem alten flämischen
Liebeslied, welches, anfänglich nur mündlich tradiert, in einer
seiner verschriftlichten Formen unter anderem folgenden Wortlaut hatte:
„1. Naer Oostland willen wy ryden, naer Oostland willen wy meê, al
over die groene heiden, frisch over die heiden, daer isser een betere steê.
2. Als wy binnen Oostland komen al onder dat hooge huis, daer worden wy
binnen gelaten, frisch over die heiden, zy heeten ons willekom zyn. 3.
Ja, willekom moeten wy wezen, zeer willekom moeten wy zyn. Daer zullen
wy avond en morgen, frisch over die heiden, nog drinken den koelen wyn.
4. Wy drinken den wyn er uit schalen en 't bier ook zoo veel ons belieft;
daer is het zoo vrolyk te leven, frisch over die heiden, daer woont er
myn zoete lief.“ Das Lied, eigentlich ein Liebeslied, stammt mit diesem
Text aus einer Zeit, in der etliche Flamen und Brabanten nach Osten - den
Norden Deutschlands - emigrierten (August Heinrich Hoffmann v.Fallersleben:
Niederländische Volkslieder, Hannover 2.Auflage 1856, Seite 209-210).
Es wurde späterhin über einen europäischen Kulturtransfer
umgewidmet. Es kann zudem religionspsychologisch gedeutet werden, denn
es stellt ist eine spezifische Form religiöser Zukunftsbewältigung
bei zuvoriger Konstatierung eines subjektiv empfundenen Mangelzustandes
und damit ein Heilversprechen dar. Bemerkenswert ist an diesem Lied, daß
die später gern in der NS-Zeit genutzten gewaltverherrlichenden Aspekte
nicht erwähnt werden. Anders ist es bei den folgenden Lied, das Heilsversprechen
und Kriegsglorifizierung miteinander kombiniert und außerdem deutlichen
Transzendenzbezug nimmt, wobei sich die Sänger oder Rezitatoren auf
der Seite eines Gläubigen wähnten, für den die eigene Gottheit
infolge kriegerischer Tugend eine Belohnung in der Zukunft bereithalten
würde: „So woll'n wir marschieren gen Ostland hin, uns Boden und Land
zu erstreiten. Und das Recht, das der Himmel als stolzen Gewinn nur dem
Starken schenkt, soll uns begleiten ... Laßt flattern die Fahnen
im Wind, laßt leuchten ihr Sonnenrad kühn. Ihr blutiges Rot
verkünde, daß wir in die Ewigkeit zieh´n“. Diese Liedfassung
war auf einem Erinnerungsblatt für abgehende Lehrgangsteilnehmer der
NS-Ordensburg Krössinsee im Kreis Dramburg in Ostpommern im Jahre
1938 abgedruckt und von einem der Lehrgangsteilnehmer komponiert worden.
Siehe dazu Franz Albert Heinen: NS-Ordensburgen Vogelsang, Sonthofen, Krössinsee,
Berlin 2011, Seite 91. Zur Politisierung des Ostlandliedes siehe ausführlicher
Jan Goossens:Das Lied Nach Ostland wollen wir reiten in Deutschland, in:
Maik Lehmberg (Herausgeber): Sprache, Sprechen, Sprichwörter. Festschrift
für Dieter Stellmacher zum 65.Geburtstag, Stuttgart 2004, Seite 381-387,
der zu ähnlichen Ergebnissen kommt wie der Rezensent
-
[11] = Dazu auch Gerda Zorn: Nach Ostland geht unser Ritt. Deutsche
Eroberungspolitik zwischen Germanisierung und Völkermord, Berlin &
Bonn 1980
-
[12] = Ausführlich zur seit dem IX. Jahrhundert einsetzenden Siedlungsbewegung
der Westdeutschen „im Osten“ siehe Klaus Dieter Schulz-Vobach: Die Deutschen
im Osten. Vom Balkan bis Sibirien, Hamburg 1989
-
[13] = Christian Westerhoff: Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Deutsche
Arbeitskräftepolitik im besetzten Polen und Litauen 1914-1918 ( Band
XXV. der Reihe „Studien zur historischen Migrationsforschung“, herausgegeben
von Klaus Bade & Jochen Oltmer), erschienen im Schöninghverlag,
Paderborn 2012, gebunden, 377 Seiten, Preis: 39,90 Euro
-
[14] = Sebastian Lehmann & Robert Bohn & Uwe Danker (Herausgebende):
Reichskommissariat Ostland. Tatort und Erinnerungsobjekt. Eine Publikation
des Instituts für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte
der Universität Flensburg und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
(Band VIII. der Reihe „Zeitalter der Weltkriege“, herausgegeben vom Militärgeschichtlichen
Forschungsamt der BRD in Potsdam), erschienen im Schöninghverlag,
Paderborn 2012, gebunden, 373 Seiten, Preis: 34,90 Euro
-
[15] = Nicht behandelt wird aber Die deutsche Militärverwaltung
der baltischen Lande 1918: Nachdem deutsche Truppen im Zuge der Offensive
gegen Rußland im März 1918 Estland und Lettland erobert hatten,
wurde im Schutze der deutschen Front im Hinterland alsbald eine deutsche
Verwaltung nach den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung eingerichtet.
Sie nahm nach Auflösung des sogenannten Gebietes Ober-Ost am 18.Juni
1918 als "Militärverwaltung der baltischen Lande" ihre Tätigkeit
auf und unterstand dem AOK 8 des Generalobersten Graf v.Kirchbach. Territorial
zuständig war sie für Kurland, Estland, Livland und die baltischen
Inseln. Politisch unterstand sie dem Unterstaatssekretär Freiherr
v.Falkenhausen im Reichsamt des Innern als „Reichskommissar für die
Ostseegebiete“. Aufgeteilt wurde die Militärverwaltung in die einzelnen
Provinzial-Verwaltungen, denen wiederum die Ressortbehörden unterstanden.
In Folge der revolutionären Ereignisse im Deutschen Reich (9.11.1918)
wurde die Militärverwaltung in eine der Reichsregierung unmittelbar
unterstellte Zivilverwaltung umgewandelt. Damit war der Besatzungsarmee
ein weiteres Verbleiben in Estland nicht gestattet, die Militärverwaltung
wurde aufgelöst. In Estland hatte man zudem am 13.November 1918 die
Verwaltung in die Hände der Republik zurückgelegt. Einen Tag
später wurde August Winnig von der provisorischen deutschen Regierung
zum "Generalbevollmächtigten des Deutschen Reiches für die baltischen
Lande" ernannt (Quellen: Carl Petersen: Handwörterbuch des Grenz-
und Auslandsdeutschtums, Breslau 1938, Seite 353-255 sowie Bundesarchiv
Koblenz: Der Weltkrieg 1914-1918, Band XIII., Koblenz 1956, Seite 368,
370 und 389)
-
[16] = Zu diesem Ergebnis kommt auch Vejas Gabriel Liulevicius (in
seinem lesenswerten Aufsatz): Von Ober-Ost nach Ostland, in: Gerhard Groß
(Herausgeber im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes):
Die vergessene Front. Der Osten 1914/15. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung,
Paderborn 2006, Seite 295-310
-
[17] = Genealogisches Handbuch des Adels, Adelige Häuser B, Band
XXI., Seite 479
-
[18] = Vejas Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung
und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002, Seite 162.
Rümker hat vor allem anerkannt auf dem Bereich der Pflanzenzüchutng
Pionierarbeit geleistet, aber auch politisch Stellung als vermeintlich
Statushöherer bezogen. Sein Werk „Mit Schwert und Pflug!“ (erschienen
in Stuttgart 1915 mit 37 Seiten in der Schriftenreihe „Der Deutsche Krieg,
Politische Druckschriften“ als Heft 47), ist dafür ein Beispiel
für diese herrentümliche Pauschalauffassung und seinen Panegyrismus
deutscher Höherwertigkeit, die mit expliziten ethnischen Vorurteilen
operierte.
-
[19] = Vejas Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung
und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002, Seite 161-162.
Goßlers Haltung widersprach eindeutig den Geheimbefehlen Hindenburgs
betreffend die Germanisierungspolitik (siehe dazu vor allem Seite 163 bei
Liulevicius.
-
[20] = Liulevicius a.a.O., Seite 124-125. Siehe dazu auch den in der
DDR erschienenen Aufsatz von Abba Strashaz: Die deutsche Militär-Verwaltung
Oberost. Prototyp der geplanten Kolonialadministration Neuland 1915-1918,
in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Doktor
Theodor Neubauer, Erfurt 1971,Seite 39-44
-
[21] = Vejas Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung
und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002, Seite 124.
Dazu außerdem Robert Stupperich: Siedlungspläne im Gebiet des
Oberbefehlshabers Ost während des Weltkrieges, in: Jomsburg. Völker
und Staaten im Osten und Norden Europas, Vierteljahrsschrift, Band V.,
Leipzig 1941, Seite 348-367
-
[22] = Goßler bezeichnete die Ober-Ost-Zeit später als die
„glücklichste Zeit seines Lebens“. Indes sind die Amtsbezeichnungen
aus der Ost-Zeit später nicht in der Öffentlichkeit benutzt worden.
Der Jahrgang 1942 des gothaischen Genealogischen Taschenbuches war neben
dem Adelsblatt der Jahre 1941 bis 1944 die einzige adelseigene Quelle,
in der Ostland-Funktionsämter genannt wurden, die in späteren
Nachfolgepublikationen (dem Deutschen Adelsarchiv und Adelsblatt ab 1948
und dem Genealogischen Handbuch des Adels ab 1951) bewußt nicht mehr
erwähnt werden.
-
[23] = Eine Ausnahme mag Franz Joseph Prinz zu Isenburg-Birstein (1869-1939)
sein, der aufgrund seiner allzu offensichtlichen alldeutschen Bestrebungen
als Chef der Militärverwaltung von Litauen demissioniert wurde. Er
wurde 1913 Fürst. (Abba Strazhaz: Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg.
Der Fall Ober-Ost 1915-1917, Wiesbaden 1993, Seite 45-46)
-
[24] = Seine Neuanschrift nach Flucht 1945 aus dem Osten, in: Deutsches
Adelsarchiv (Herausgeber): Flüchtlingsliste, Jahrgang II., Westerbrak
1946, Heft 3, Seite 9
-
[25] = Zu Goßlers Wirksamkeit in Ober-Ost siehe vor allem Karl-Heinz
Hanßen: Alfred Goßler und die deutsche Verwaltung im Baltikum,
in: Historische Zeitschrift, Band CCVII. (1968), Seite 42-54
-
[26] = Für Ober-Ost siehe die Berichte der Ausgrabungen bei
Liulevicius a.a.O., Seite 54-61. Für das Ostland siehe Malte Gasche:
Die Instrumentalisierung der Prähistorie im Reichskommissariat Ostland,
in: Lehmann (a.a.O.), Seite 171-187
-
[27] = Christoph Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941-1944,
Göttingen 2011, Seite 741
-
[28] = Beispielhaft dafür steht der lesenswerte Beitrag von Sven
Jüngerkes: Eine Ohrfeige für den General. Zur rolle von Konflikten
innerhalb der deutschen Besatzungsverwaltung im Reichskommissariat Ostland
1941 bis 1944, in dem erwähnten Lehmannschen Werk (Seite 209-228).
Dieser Beitrag von Jüngerkes ist außerdem bemerkenswert, weil
er multidisziplinär arbeitet und das Reichskommissariat Ostland mit
Niklas Luhmanns soziologisch orientierter systemtheoretischer Brille und
nicht nur rein historisch-schildernd betrachtet. Für Kompetenzstreitigkeiten
in Ober-Ost siehe die strukturalistisch angelegten Zuständigkeiten
für ein Sachgebiet bei mehreren Verwaltungsinstitutionen bei Vejas
Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und
Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002, Seite 82
-
[29] = Lohse und Koch empfanden sich daher auch gern als "Reichskommissare
2.Klasse". Siehe dazu Näheres bei Andreas Zellhuber: Unsere Verwaltung
treibt einer Katastrophe zu. Das Reichsministerium für die besetzten
Ostgebiete und die deutsche Besatzungsherrschaft in der Sowjetunion 1941-1945,
München 2006, Seite 263
-
[30] = So auch bei Dennis Zemella: Wir zwingen den Raum. Identitätsstiftende
Raumkonstruktionen in der Minsker Zeitung 1942-1944, Norderstedt 2007,
Seite 43-57
-
[31] = Ein Exempel für diesen diametral konstruierten Gegensatz
von „deutscher Kultur“ und „undeutscher Unkultur“ ist der Aufsatz von Hubert
v.Sanden-Tracken: Deutsche Ritter und ritterliche Geschlechter als Kulturträger
gegen Osten. Die Thätigkeit des Ordens in Westpreußen und seine
Spuren in 16 Schlössern und Burgen, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang
XIX, Berlin 1901, Seite 511-513 sowie 672-674 und Jahrgang XX., Berlin
1902, Seite 57-58
-
[32] = Ein Beispiel für die konstruierte Modifikation von „Unordnung“
in „Ordnung“ ist der Aufsatz von Nomen Nescio: Eine neue Ordnung. Führerworte
zu der Frage der Umsiedlung von hochwertigen deutschen Volksgruppen [Umsiedlung
der Balten], in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang LVIII. (1940), Seite 614
-
[33] = Ewald v.Kleist-Schmenzin: Adel und Preußentum, in: Süddeutsche
Monatshefte, Jahrgang XXIII., Heft 5 (Themenheft "Deutscher Adel"), München
1926, Seite 378-384 (hier Seite 383)
-
[34] = Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv in Schleswig: Abt.399
Nachlaß Wollatz: Mappe A, Schreiben von H.W. Vom 1. VIII. 1932
-
[35] = Nomen Nescio: Die deutsche Aufgabe im Osten, in: Kauener Zeitung,
Jahrgang I., Ausgabe Nro.49 vom 6. XII. 1941
-
[36] = Ein Beispiel hierfür ist Eugen Kalkschmidt: Deutsche Sendung
im Ostland, Köln 1936, 61 Seiten
-
[37] = Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer
Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserzeit
und NS-Staat, Berlin 2.Auflage 2003, Seite 502
-
[38] = Frau v.Boemcken: Zentral-Hilfe. Die koloniale Frauenschule Rendsburg,
in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XLVI. (1928), Seite 125-126 / Agnes
v. Boemcken: Koloniale Frauenschule, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang
XLVIII. (1930), Seite 454 / Christoph Freiherr v.Imhoff: Deutsche Kolonisationsarbeit
im Laufe der Jahrhunderte [Moselbauern im Baltikum, Deutsche in Südamerika,
Deutsche in Ungarn unter Maria Theresia, Deutsche in Rußland unter
Katharina II., Expansionsbewegungen im Mittelalter nach Osten, Ruf nach
Wiedererlangung von Kolonien 1932], in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang
L. (1932), Seite 275-276 / Nomen Nescio: Ein Vorkämpfer deutscher
Kolonialgeltung [Major Kurt v.Francois], in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang
L. (1932), Seite 28 / Oberst außer Diensten v.Kleist: Bedeutung des
kolonialen Gedankens, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XLVII. (1929),
Seite 21-22
-
[39] = Paul Leutwein: Das deutsche Indien [Kolonie Deutschostafrika],
in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang LIII. (1935), Seite 206-207 / Paul Leutwein:
Deutschlands kolonialer Rohstoffbedarf, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang
LIV. (1936), Seite 229-230 / Paul Leutwein: Kolonialpolitik, in: Deutsches
Adelsblatt, Jahrgang LIII. (1935), Seite 668-669 / J.G. Graf v.Brockdorff-Dallwitz:
Staatsland Ostpreußen [Kolonisation, Siedlungspolitik, Geschichte,
Deutscher Orden], in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang LII. (1934), Seite
384-386 / Paul Schnoeckel,: Zur 50-Jahrfeier der deutschen Kolonien, in:
Deutsches Adelsblatt, Jahrgang LII. (1934), Seite 494-496 / Carl C.v. Loesch:
Die gerechte Befriedung der Völker als Hauptproblem des europäischen
Ostens, Aufsatz, DAB, Jahrgang LVII. (1939), Seite 395-397 / Nomen Nescio:
Rheinländer und Westfalen in der Ostlandarbeit des Deutschen Ordens,
in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang LIV. (1936), Seite 1581-1582 / Franz
Lüdtke: Der Deutsche Ritterorden, der Wiedereroberer und Kolonisator
des deutschen Ostraumes, Langensalza & Berlin & Leipzig 1935, 61
Seiten (Band XIV. der Reihe „Geschichte der deutschen Ostlande“) / Nomen
Nescio: Die deutsche Leistung im Osten [deutsche Besiedlung des Ostens,
deutsche Wörter in Ungarn, Deutschtum in Österreich], in: Deutsches
Adelsblatt, Jahrgang LVI. (1938), Seite 449-451 / Karola v. Kempis: Psychologische
und bevölkerungspolitische Gesichtspunkte bei der Auswahl der Siedler
[bei Siedlungsplänen], in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang LI. (1933),
Seite 169-170
-
[40] = Paul Rohrbach: Der koloniale Gedanke in der Völkergeschichte,
in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang LIX. (1941), Seite 242-244 / Wolfgang
Windelband: Motive neuzeitlicher Kolonialpolitik, in: Deutsches Adelsblatt,
Jahrgang LVIII. (1940), Seite 4-5 und 26-28
-
[41] = Friedrich Hartwig: Johann Moritz von Nassau-Siegen. Ein deutscher
Edelmann kolonisiert in Brasilien (1637-1644), in: Deutsches Adelsblatt,
Jahrgang LV. (1937), Seite 1044-1046 / Wolf Graf v.Baudissin: Nettelbeck.
Ein deutscher Kolonialpionier [Sklavenhandel, Surinam, Berbice, Marokko],
in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang LVI. (1938), Seite 1226-1227
-
[42] = Beispielhaft neben der ganzen Erinnerungskultur der Vertriebenen
siehe auf lyrischem Gebiet Agnes Miegel: Ostland. Gedichte, Jena 1940.
Außerdem beziehentlich der Literatur im Allgemeinen bedeutend ist
Christoph Mick: Kriegserfahrungen und die Konstruktion von Kontinuität.
Schlachten und Kriege im ukrainischen und polnischen kollektiven Gedächtnis
1900-1930, in: Gert Melville & Karl-Siegbert Rehberg (Herausgebende):
Gründungsmythen, Genealogien, Memorialzeichen. Beiträge zur institutionellen
Konstruktion von Kontinuität, Köln 2004, Seite 124
-
[43] = Jürgen v.Hehn & Hans v.Rimscha & Hellmuth Weiss
(Herausgebende im Auftrag der Baltischen Historischen Kommission): Von
den baltischen Provinzen zu den baltischen Staaten. Beiträge zur Entstehungsgeschichte
der Republiken Estland und Lettland 1917-1918, Marburg an der Lahn 1971,
Seite 244
-
[44] = Hans-Joachim v.Brockhusen-Justin: Der Weltkrieg und ein schlichtes
Menschenleben, Greifswald 1928, Seite 16-19. Sein Streben an die Front
zu kommen, entsprang einem intrapersonalen Konflikt, da er Angst hatte,
nicht bei den zu erwartenden Siegen der deutschen Armee teilhaben zu können
und später als zweitrangiger Zivilist in konservativen Kreisen verunglimpft
zu werden.
-
[45] = Das war erklärlich, da es sich um eine Militärverwaltung
handelte. Zu den Stellenbesetzungen (Erich Ludendorff als Oberbefehlshaber
Ost, Generalmajor v.Eisenhart-Rothe, Hans-Joachim v.Brockhusen-Justin,
Hauptmann Wilhelm Freiherr v.Gayl, Graf Yorck v.Wartenburg MdH, Alfred
v.Goßler, Franz Jospeh Fürst zu Idenstein-Birstein, Theodor
v.Heppe, v.Blanckenburg-Schötzow) siehe unter anderem lückenhaft
Vejas Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung
und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002, Seite 80-84
sowie Hans-Joachim v.Brockhusen-Justin: Der Weltkrieg und ein schlichtes
Menschenleben, Greifswald 1928
-
[46] = Sven Jüngerkes: Deutsche Besatzungspolitik in Lettland
1941-1945, Konstanz 2010, Seite 124
-
[47] = Christoph Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Livland 1941-1944,
Band I., Göttingen 2011, Seite 459
-
[48] = Zu ihm siehe Genealogisches Handbuch des Adels, Adelige Häuser
B, Band XXIV., Limburg 2002, Seite 367
-
[49] = Christoph Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Livland 1941-1944,
Band I., Göttingen 2011, Seite 459
-
[50] = Zu seinem Lebenslauf und seiner Stellung im Ostland sowie zu
Nachkriegsermittlungen siehe Sven Jüngerkes: Deutsche Besatzungspolitik
in Lettland 1941-1945, Konstanz 2010, Seite 134
-
[51] = Sven Jüngerkes: Deutsche Besatzungspolitik in Lettland
1941-1945, Konstanz 2010, Seite 364
-
[52] = Dazu Andreas Zellhuber: Unsere Verwaltung treibt einer Katastrophe
zu. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und die deutsche
Besatzungsherrschaft in der Sowjetunion 1941-1945, München 2006, Seite
355
-
[53] = Sven Jüngerkes: Deutsche Besatzungspolitik in Lettland
1941-1945, Konstanz 2010, Seite 516
-
[54] = Genealogisches Handbuch des Adels, Adelige Häuser A., Band
XXIII., Limburg an der Lahn 1994, Seite 63
-
[55] = Sven Jüngerkes: Deutsche Besatzungspolitik in Lettland
1941-1945, Konstanz 2010, Seite 480-481
-
[56] = Zu seiner Vita siehe ebenfalls Sven Jüngerkes: Deutsche
Besatzungspolitik in Lettland 1941-1945, Konstanz 2010, Seite 135-137
-
[57] = Sven Jüngerkes: Deutsche Besatzungspolitik in Lettland
1941-1945, Konstanz 2010, Seite 519
-
[58] = Sie folgen damit einem kulturwissenschaftlichen Ansatz in den
Geschichtswissenschaften, wie ihn in ähnlicher Manier zum gleichen
Thema auch schon Sven Jüngerkes in seiner Dissertation von 2009 (Deutsche
Besatzungspolitik in Lettland 1941-1945, Konstanz 2010) umgesetzt hatte.
-
[59] = Ernst Wrisberg: Heer und Heimat, Leipzig 1921, Seite 181
-
[60] = Dazu die Transkription der Verhörprotokolle Lohses von
1947 in Nürnberg bei Uwe Danker: Geschichten und Geschichtskonstruktion
für Gerichte und Öffentlichkeit. Täternarrationen am Beispiel
des Hinrich Lohse, in dem erwähnten Lehmannschen Werk (Seite 239-244)
-
[61] = Diese Erkenntnis ist eigentlich nicht novitär, aber in
dieser Detailtreue noch nicht bearbeitet worden. Zur Erkenntnis der Zwangsarbeit
siehe auch schon vorher Abba Strazhaz: Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg.
Der Fall Ober-Ost 1915-1917, Wiesbaden 1993, Seite 38-42. Auch der Oberbefehlshaber
Ost gab schon 1917 zu, russische Kriegsgefangene zu Waldarbeiten verpflichtet
zu haben. Siehe dazu den Nachweis bei Major der Landwehr Escherich:Der
Bialowieser Urwald, in: Presseabteilung Ober-Ost (Herausgeberin): Das Land
Ober-Ost. Deutsche Arbeit in den Verwaltungsgebieten Kurland, Litauen und
Bialystok-Grodno, Stuttgart & Berlin 1917, Seite 282
-
[62] = Zu diesem zeitgenössischen Schlagwort, das als Legitimation
für adelige Machtausweitung „im Osten“ mißbraucht wurde, siehe
beispielhaft Hans Wildermann: Volk ohne Raum. Betrachtungen zur Lage der
deutschen Volksgruppen in den ehemalig preußischen Provinzen Posen
und Pommerellen der Republik Polen, Aufsatz, in: Deutsches Adelsblatt,
Jahrgang LV. (1937), Seite 505-507. Das Adelsblatt druckte bisweilen auch
kontroverse Meinungen ab. Ein seltenes Beispiel dafür ist Hasso v.Wedel:
Raum ohne Volk? [Widerlegung der Behauptung, daß der Osten Deutschlands
unterbevölkert sei], in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XLVI. (1928),
Seite 118-119
-
[63] = Dazu die zwei voluminösen Bände von Christoph Dieckmann:
Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941-1944, Göttingen 2011
-
[64] = So das Urteil von Sven Jüngerkes: Deutsche Besatzungsverwaltung
in Lettland 1941-1944, Konstanz 2010, Seite 115-120
|