Adelsarmut in Preußen um und nach 1800
Ständische Herausforderung in der Formierungsphase der Moderne
Für die Einen war der Ordensadel daran schuld, daß Adelige
verarmten, [1] für die Anderen war es die Beibehaltung der Fideikommisse,
[2] die den einen Sohn bevorzugte, die anderen Familienangehörigen
aber der Armut preisgab, Dritte wieder sahen in der Übernahme „geringer“
Bedienungen die Ursache von Adels- armut; [3] Adelsarme wurden daraufhin
„Halbadel“ [4] oder „Adelsproletariat“ [5] genannt. Doch in jedem Fall
und oft genug herrschte zwischen beiden hier in Rede stehenden Entitäten
– „Adel“ und Armut“ – eine als unangenehm wahrgenommene Spannung, begegneten
sich hier doch zwei Begriffe und Vorstellungen, die sich in landläufiger
Meinung oft genug abstießen und auszuschließen schienen: „Wo
dem Adel der Glanz des Goldes fehlt,“ so notierte dazu Stöckert (1885),
„da schwinden so nach und nach die aristokratischen Standesvortheile, die
ohne diesen Glanz leicht einen lächerlichen Anstrich bekommen. Armut
und Adel, das reimt sich eben nicht gut zusammen.“ [6] Armen Adel könne
und dürfe es daher nicht geben, könnte man aus Stöckerts
Worten schließen.
Doch darf hier nicht diese normierende Vorstellung – der Adels-Stereotypbestandteil
der Wohlhabenheit und des materiellen Reichtums oder ökonomischen
Kapitalüberflusses [7] – mit der empirisch ermittelbaren Wirklichkeit
verwechselt werden. Insofern sind Berichte kritisch zu sehen, die Adelsreichtum
lediglich aus politischen Gründen und im Schimpfklatschstil [8] thematisiert
hatten, wie dies im folgenden österreichischen Zeitungsbericht aus
dem Jahre 1926 geschehen war:
„Standesgemäß. In einem Prozeß, den ein verarmter
Adeliger gegen seine Familie um eine Apanage führte, meinte einer
der Advokaten, in der Monarchie, da mußte man den Mitgliedern adeliger
Familien die Mittel bewilligen, um standesgemäß leben zu können,
aber in der Republik ... In der Republik fallen eben die falschen Rücksichten,
da stirbt die kranke Scham. In der Republik soll jeder dahinschlendern,
so gut und so schlecht er es kann. Die Republik hat die Standesunterschiede
aufgehoben, die Besitzunterschiede aber bestehen gelassen. Irgendein Privileg
muß doch auch der begüterte Adelige haben; dem man alle seine
sonstigen Vorrechte entzogen hat. Man hat den Wappenvögeln die schönsten
Federn geraubt, sie sind alle kahl geworden, aber ihre Schnäbel sind
noch nicht nivelliert.
Mit den Schnäbeln wird nämlich gegessen, mit den Federn
wird nur imponiert. Der Begriff standesgemäß scheint eine leere
Worthülse geworden zu sein. Was sollen die vielen armen Grafen nun
ohne Apanage tun? Sie sind einmal nicht zum Ackergaul erzogen, die Wirtschaft
kann mit ihnen keine Furchen ziehen; sie möchten sich anpassen, sie
möchten gern Frieden mit der schlichten Arbeit schließen. Aber
auch zu einem solchen Frieden braucht man Geld, doch wem die Apanage entzogen
wird, dem fehlt es eben. In der seligen Monarchie, da lag das Ruhekissen
für die meisten Adeligen schon bei der Geburt bereit: Sie durften
Beamte, Offiziere, Höflinge, Schranzen, Diplomaten werden, und sie
konnten bequem und sorglos leben, teilweise vom Brieftaschengeld ihrer
Verwandten, teilweise vom Aktentaschengeld des Staates. Standesgemäß?
Die Aristokratie negiert die Pflichten der Noblesse, weil sie der Republik
nichts schuldig zu sein glaubt. Und wenn man nichts schuldig ist, dann
bezahlt man auch nichts. Darum ist das Klagebegehren wegen Apanage abzuweisen
infolge Ortsunzuständigkeit der Republik in der Weit der armen Grafen.“
[9]
Der Bericht legt nahe, zu vermuten, daß alle Adeligen vor
1918 und damit vor der Revolution durch Zahlungen aus Familienkassen versorgt
worden wären, ohne daß sie hätten „arbeiten“ müssen.
Das Problem der Spannung zwischen „Adel“ und Armut“ hätte des demnach
also gar nicht gegeben.
Daß dies viel zu pauschal gedacht war, offenbart sich, wenn
man entsprechende Studien heranzieht, die Spuren der jeweiligen Akteur*innen
am Ort des Geschehens, in Archiven und in deren Akten, aufsucht. Dann nämlich
läßt sich das erwähnte und vorgestellte politische Narrativ
nicht aufrechterhalten. Adel und Armut paßten vielmehr zusammen,
vor allem um 1800 und vielmehr noch danach.
Zu diesem Thema nun hat Chelion Begass M.A. (*1983) [10] jüngst
eine Dissertation vorgelegt, die 2020 im Berliner Verlag Duncker &
Humblot erschienen ist, und die zwar nicht die erste Adelsarmutsstudie
ist, von ihrem Umfang und ihrer Qualität her jedoch als Meilenstein
bezeichnet werden kann. [11] Sie kann zudem als Beitrag zur „historischen
Soziologie“ [12] verstanden werden, hat doch die Verfasserin, entsprechend
ihrer Studienfächer im Magistrastudium, hier soziologische und historische
Theorien und Blickwinkel gemischt, was dem Thema nur zuträglich sein
konnte. Dies liegt nahe, sind doch „Adel“ ebenso wie „Armut“ relationale
und soziale Kategorien, die nur im Vergleich mit denen, die nichtadelig
und wirtschaftltich besser gestellt waren, ermittel- und beschreibbar sind.
Entsprechend der bidisziplinären Sichtweise berücksichtigt
Begass Mikro-, Meso- und Makroebene, interessiert sich in vier großen
Kapiteln für ihre Thematik. Dazu nimmt sie sich zuerst die sozioökonomischen
Transformationsprozesse der preußischen Gentilhommerie vor, die durch
die Heraufkunft der Moderne und ihrer Entwicklungen entstanden (Seite 35-144);
dazu zählten, will man Bauer (2010) heranziehen, die Megatrends Aufklärung,
Säkularisierung, Differenzierung, Industrialisierung, Konstitutionalismus,
Emanzipation und Nationswerdung. [13] Diese Zeit der Formierungsphase der
Moderne – in unterschiedlichen historiographischen Zugriffen bislang auch
Sattelzeit, nachständische Gesellschaft, Übergangsgesellschaft,
neuständische Gesellschaft, entsicherte Ständegesellschaft, oder
das Laboratorium vor der Moderne genannt (Seite 20) – hat Begass als Untersuchungszeit
gewählt, da sich dort wesentliche Transformationsprozesse im Adel
abspielten, er unter Konkurrenzdruck geriet, Armut in der Gentilhommerie
ein strukturelles (später sogar ein politisches) Problem wurde.
Begass widmet sich sodann den Erscheinungsformen adeliger Armut,
vor allem den Fragen der Armutswahrnehmung (Semantik), [14] -definition,
den -risikogruppen (z.B. der Adelsaltersarmut) und möglichen Armutsepisoden
im Lebenslauf (Seite 145-224). Der letzte große Abschnitt schließlich
widmet sich den verschiedenen „standesgemäßen“ ebenso wie „nicht“-
oder „unstandesgemäßen“ Bewältigungsformen der persönlichen
Adelskrisen von Adeligen, den Unterstützungskassen, Damenheimen, dem
Lohnarbeiterstatus, auch der Adelskriminalität als Form der Bewältigung
des Überlebens als Adelsperson (Seite 225-370).
Auch hier ist der soziologische Zugriff deutlich erkennbar, bereichert
die geschichtswissenschaftliche Studie aus doppelter Perspektive. Förderlich
wirkt sich dies vor allem bei der Gegenüberstellung historischer Armutssichten
und sozialwissenschaftlicher Blicke auf Armut aus. Zwar benützt Begass
das historische Armutsmodell von Schulz (Seite 361-362), das dreigeteilt
die auch im Adel auffindbaren Kategorien der arbeitenden, der arbeitsunfähigen
und der marginalisierten Armen (als Klasse an sich, nicht als Klasse für
sich; Seite 165: „keine gemeinsame Armenidentität“) kennt; sie betont
aber, daß dieses Modell zu statisch sei, da es davon ausgehe, daß
Armutszustände langfristige Situationen (Seite 362) seien. Daher verwendet
Begass ergänzend Modelle, die auf „Pendlerkarrieren“ sozialer Mobilität
achten (Seite 364), auf Abstiegs- und Aufstiegssituationen und -wege. Zuletzt
dann beschließt die Verfasserin ihre Untersuchung mit einem Blick
auf die Bedeutung und den Stellenwert armen Adels im Modernisierungsprozeß
der deutschen Gesellschaft.
Erzählt wird mithin durch vier Sichtweisen die Geschichte eines
Adels, dessen vor allem ökonomischer Mangel im Zentrum der Untersuchung
steht. [15] Ausgehend von der Annahme, daß Adel immer noch „Führungsschicht“
(Seite 26, 362) gewesen sei, müßte das Ergebnis überraschen.
Aus Sicht der neueren Adelsforschung ist das Ergebnis indes nicht überraschend,
da die Bezeichnung der Nobilität als „Führungschicht“ für
das 19. Jahrhundert in dieser dogmatischen Form zumindest doch seit einiger
Zeit fragwürdig geworden ist. Zu groß waren die Differenzen
in den Regionen zwischen Magnaten und polnischem Kleinadel, adeligen Industriellen
(z.B. Glashüttenbetreibenden wie den bayerischen freiherrlichen Poschingers
[16]) und Handwerkern, Tagelöhnern, Dienstmägden oder Prostituierten
aus dem Adel. [17]
Es ist zwar legitim, auch weiterhin von Adel als einer „Führungsschicht“
zu sprechen, wenn man dabei nur diejenigen betrachtet, die tatsächlich
führend in Politik oder Diplomatie tätig waren; Begass verweist
jedoch darauf, man könnte sich nun „von den bisherigen `Meisterzählungen´
lösen. Sie interessiert sich daher auch vielmehr
für die Grenzfiguren des Adels. [18] Dies haben indes auch bereits
andere Forschende getan, und so ist die heutige deutschsprachige Adelsforschung
diverser, als dies Begass formuliert hat. [19] Unbestritten ist jedoch,
daß ihre Studie dieser Diversifizierung und der Fokussierung auf
adelsdeviante Themen beitritt und es erfreulich ist, daß die Forschungsrichtung
der Adelsdevianz immer mehr an Aufmerksamkeit gewinnt. Ebenso positiv hervorzuheben
ist es, daß Begass – im Geiste der Singerschen Vorgängerstudie
[20] – besonders die Armut und Armutsbewältigungsversuche adeliger
Frauen berücksichtigt (grundlegend dazu Seite 184-188) hat.
Kernpunkt ihrer Untersuchung ist dabei der Konflikt, der sich aus
Standesrepräsentationspflichten des Adels einerseits und Berufsverboten
andererseits speiste. Dieses latente Spannungsverhältnis lotet Begass
detailliert aus.
Widersprüchlich verhält sie sich jedoch bei der Frage,
wie Adel zu definieren sei. Hier plädiert sie einerseits für
die statische Sichtweise des „beeing nobility“, die sich in der Feststellung
erschöpft, Adel sei ein rechtlich fixierter Stand. [21] Andererseits
fordert sie an gewissen ausgewiesenen Stellen (Seite 337) und in ihrem
Resumée geradezu postmodern, soziologisch und praxistheoretisch
orientiert, [22] man solle doch künftighin die rechtlichen Kategorien
„Stand“ aufgeben und besser darauf sehen, wie Gesellschaft aus der Alltagspraxis
entstehe, denn Gesellschaft erwachse aus „dem alltäglichen Miteinander,
nicht allein aus rechtlichen Zuteilungen“ (Seite 395). Hier setzt sie sich
also ganz explizit für ein Konzept ein, daß andernorts als „un/doing
nobility“ formuliert worden ist. [23]
Bezüglich der angekündigten Methode (Überschrift
Seite 27: „Methode und Quellen“) ist überraschend, daß diese
nicht benannt und nur erwähnt wird, es handele sich um einen Mix aus
historischen und soziologischen Fragestellungen; einen Namen oder eine
Beschreibung einer Methode, geschweige denn die Diskussion ihrer Geeignetheit
und eine Reflexion über sie, bleibt die Verfasserin leider schuldig.
Entnehmen kann man dem sehr knappen Text zur „Methode“ (lediglich 19 Zeilen!)
nur, daß eine Fallbeispieluntersuchung stattgefunden habe, die mit
einer Diskursuntersuchung angereichert worden ist (Seite 27). [24]
In Hinsicht auf die Quellen wartet die Verfasserin jedoch mit mehreren
für die Adelsforschung weitgehend ungenutzten Gruppen auf; [25] hierzu
zählen neben den Bittschriften aus dem Bestand des Geheimen Zivilkabinetts
im Dahlemer Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, in dem
1.600 Anträge von Adeligen aufbewahrt werden (Seite 30), auch Anträge
und Akten aus dem polnischen Staatsarchiv Stettin, u.a. aus dem pommerschen
Gevattergeld-Fonds (Seite 321). Auch die Auswertung des sehr umfangreichen
Meliorationszinsenpensionfonds, der zwischen 1771 und den 1920er Jahren
existierte, bot ihr eine Fülle von Adelsquellen als Almosen- und Armenfonds
(Seite 294), der auch für künftige Forschungen von hohem Interesse
sein dürfte.
Gleiches, wenn auch in abgeschwächtem Maße, gilt
für die Heranziehung des von der Berliner Armen-Direktion herausgegebenen
„Alphabetischen Verzeichnisses der im Laufe des Jahres 1820 vertheilten
Unterstützungen an dürftige Personen aus Kommunal- und andern
zu Armen-Unterstützungen bestimmten Fonds, insofern die letztern zur
Kenntniss der Armen-Direction gekommen sind“ (Berlin 1821), die Begass
(Seite 328) ausgewertet hat. Hier, im Bereich der Quellenerschließung
und archivalischen Heuristik, hat sich Begass deutliche Verdienste erworben
und künftigen Studien den Weg geebnet. Denn diese Quellen enthalten
oft detaillierte Daten aus dem wirtschaftlichen Leben von verarmten Adeligen,
die in anderen Quellen nur schwerlich auffindbar sein dürften.
In ihrer Studie kommen auch Beispielquellen zur teils ausführlichen
Darstellung, die bemerkenswert sind, so der Adelsverzicht eines Bruders
des Freiherrn vom und zum Stein (Seite 352) oder die „unstandesgemäße“
Lebensart der Grafen Schellard (Seite 341-349), die vom preußischen
König per erfolgreichem Bestechungsversuch zum Adelsverzicht gedrängt
worden sind, um in der bürgerlichen Anonymisierung vom Radar der öffentlichen
Meinung zu verschwinden, die sich gemeinhin gern, beispielsweise späterhin
in der Massenpresse, auf Statusinkonsistenzen und Adelsdevianzen stürzte.
[26]
Diese Quellenarten werden zudem, ganz im Gegenteil zu den nur dürftigen
Angaben zur Methode, vorbildlich, kritisch und reflektiert in ihrer Beschaffenheit
und Geeignetheit für die Studie diskutiert (Seite 28-34). Eine kleine
Schwäche der Arbeit ist es jedoch, daß nicht herausgearbeitet
wurde, daß die Gefahr besteht, mit den herangezogenen Personen keine
Adelspersonen zu behandeln. [27] Auch der Forschungsstand (referiert bei
Begass auf Seite 21-24) ist nicht in allen Teilbereichen der Dissertation
zwischen der Verteidigung der Arbeit im Wintersemester 2017/18 und der
Beendigung des Drucks im Frühjahr 2019 (nach Vorwortangabe auf Seite
8) nachgetragen worden. Veraltet ist er qualitativ wie quantitativ daher
bedauerlicherweise, auch mit den daraus gewonnenen veralteten Erkenntnissen,
im Bereich der Adelsentsetzungen sowohl für Preußen als auch
für Österreich (Begass: Seite 329-339). [28]
Läßt man aber diesen kleinen Bereich außen vor,
kommt Begass zu wichtigen neuen Erkenntnissen. Die Adelsschutzpolitik der
preußischen Könige, so Begass, erwies sich längerfristig
als kontraproduktiv zum intendierten Ziel (Seite 141), denn leichtere Kredite
im friderizianischen Zeitalter konsolidierten nicht etwa die Adelsgüter,
sondern förderten im Gegenteil eine noch höhere Verschuldung
und damit auch eine leichtere Güterfluktuation (Seite 65) und -spekulation.
Begass lenkt den Fokus zudem auf die vielen kleineren Rittergüter
und Adelsliegenschaften, die bisher von der Forschung vernachlässigt
worden sind (Seite 52-60); sie hebt hervor, wie sehr die großen Schlösser
und Herrenhäuser mit Aufmerksamkeit bedacht wurden, [29] wie wenig
aber über die zahlenmäßig überwiegenden kleinen Gutswirtschaften
geforscht worden sei, stellt Gutshäuser in Pommern in Wort und Bild
vor, die sich in Größe und Ausstattung kaum von Bauernhäusern
unterschieden (Seite 36-52). [30] Ferner war die Schaffung eines „versorgungsabhängigen
Dienstadels“, der land- und güterlos war, eine schwere gesellschaftliche
Hypothek, davon zeugen nicht nur die unzureichend zu nennenden Zivilanstellungen
für Offiziere, sondern auch die vielen Bittschriften verarmter Adeliger.
Eine Lösung der Versorgungsfrage war daher bei Offizieren und in der
Armee nur eine vorübergehende, zumal Invalidität, [31] Krankheit,
Behinderungen, [32] Alter und auch Kriegsverwüstungsfolgen dazu beitrugen,
eine Situation potentiell dauerhafter Vulnerabilität und geringer
Resilienz zu schaffen (Seite 144). [33]
Bei alledem blieb jedoch die Frage, ob und wann welche Adelige als
„arm“ galten, diskursabhängig, konnte nicht exakt und unumstritten
beantwortet werden; „Armut“ war, dies wurde oben bereits angedeutet, keine
objektiv feststehende oder feststellbare, sondern eine durch Aushandlung
bestimmte sprechaktlich erzeugte Kategorie (Seite 222). Begass macht indes
drei Gruppen besonders von Armut betroffener Angehöriger der Gentilhommerie
aus; dazu zählt sie a) Kleingrundbesitzer, b) alleinstehende oder
verwitwete Frauen und c) den schon erwähnten versorgungsabhängigen
Dienstadel (Seite 223). Begass stellt fernerhin fest, mit welchen
Strategien Adelige der Armut begegneten; dazu zählte die möglichst
„standesgemäße“ Erziehung der Kinder, um diese nicht ins Prekariat
abrutschen zu lassen, die Inskription von Frauen in Damenstifte, die Einreihung
der Knaben und Männer in das Militär als Offizier(sanwärter),
die Inanspruchnahme von Stiftungsunterstützungen [34] und Familienkassen
(sofern vorhanden), schließlich auch Erwerbsarbeit als Erzieherin,
Gesellschaftsdame, Handwerker, Lohnbedienter oder Subalternbeamter. [35]
Zum Schluß lehnt sie die Thesen der Verbürgerlichung des Adels
und die der Aristokratisierung des Bürgertums [36] gleichermaßen
ab, plädiert stattdessen vor dem Hintergrund ihrer Einsichten für
die These „gegenseitiger Annäherung“ (Seite 381) und damit für
eine Hybridi- oder Amalgamisierung. Ob man dieser oder jener Sicht folgen
möchte, dürfte indes eine Sache der Motivation und Perspektive
der jeweiligen Forschenden sein. Denn während die „Aristokratisierung
des Bürgertums“ vor allem eine Sicht auf „das Bürgertum“ präferiert,
möchte die „Hybridisierung“ einem gesamtgesellschaftlichen Blick den
Vorzug geben.
Insgesamt nun, will man ein kurzgefaßtes Resumée wagen,
ist die Studie mit ihrer detailreichen Einblicken in die Adelsarmut zwar
nicht die erste ihrer Art, methodisch und vom Forschungsstand her in kleinen
Teilen nur schwach aufgestellt, von der Quellenwahl und -nutzung her innovativ
und hervorragend gestaltet, vom Untersuchungsgang aber und den Ergebnissen
her überzeugend und inspirierend. Auch sie hat gezeigt, daß
sich die wissenschaftliche Adelsforschung mehr und mehr dem Devianzthema
zuwendet, [37] denn es gilt immer noch, was einst so treffend der Ständepsychologe
Fischer (1922) formuliert hatte: „Von besonderem Interesse sind die Grenzvorgänge
des Aufstrebens anderer Schichten in die Reihen des Adels (der Emporkömmlinge,
der neuen Reichen) und der Eintritt späterer Adelsgenossen nicht nur
in das bürgerliche Leben, sondern in die bürgerliche `proletarische´
Standesbewegung (das Problem der `Deklassierten´).“ [38]
Begass hat zu dieser „Standesbewegung“ mit ihrer baden-württembergischen
Qualifizierungsschrift einen weiteren wertvollen Beitrag geleistet, der
insgesamt – wenn auch mit geringen Abstrichen – als wirkungsvoller Fortschritt
der Forschung betrachtet werden kann. Denn zweifellos hat sie einen gewichtigen
Beitrag zur Erhellung nicht nur der „Theorie der feinen Leute“ im Sinne
Veblens geleistet, [39] sondern diese ebenfalls, wie manch andere Studie,
zur „Theorie der un/feinen Leute“ erweitert. Anders gewendet könnte
man auch sagen, daß sich Begass nicht mehr einer „Sozialgeschichte
von oben“ zugewandt hat, [40] sondern einer „Sozialgeschichte nach unten“,
die das Bild „des Adels“ facettenreicher gemacht hat.
Diese Rezension stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A.,
M.A., B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche
Adelsforschung.
Annotationen:
-
[1] = Nomen Nescio: Abschaffung des Ordensadels, in: Österreichisch-Ungarische
Militär-Zeitung Vedette (Wien), Ausgabe Nr. 65 vom 13. August
1884, Seite 516: „Weiter ereignete es sich nicht selten, daß man
das Verdienst der Väter zu krönen beabsichtigte, aber nicht bis
ins dritte und vierte Geschlecht, weil schon das zweite nicht viel wert
war. Das Adelsproletariat nahm in neuerer Zeit bedenklich überhand
und wer die Zeitungen liest, die Tagesneuigkeiten, die Concurse, Curatelverhängungen
der Gerichtshalle, wer hier und da das Jungherrenthum in den abenteuerlichsten
Liebes- und Geldgeschäften vermittelt sieht, der kann es nur aufrichtig
billigen, daß allen diesen Mißbräuchen durch den kaiserlichen
Erlaß ein kräftiger Riegel vorgeschoben worden ist.“
-
[2] = Nomen Nescio: Keine neuen Fideicommisse, in: Freie Stimmen (Klagenfurt),
Ausgabe Nr. 132 vom 3. November 1896, Seite 2: „Die Fideicommisse enthalten
schließlich auch eine schwere Ungerechtigkeit gegen die von der Erbfolge
ausgeschlossenen Kinder, sie erheben den einen Sohn über die Nothwendigkeit,
sich durch eigene Kraft zu erhalten, während die übrigen Familienmitglieder
oft zur Dürftigkeit verurtheilt werden. Dadurch wird zugleich ein
anspruchsvolles Junkerthum und ein Adelsproletariat geschaffen.“
-
[3] = Sie waren jedoch wohl eher deren Folge.
-
[4] = Martin Wrede: Ohne Furcht und Tadel für König und Vaterland,
Tübingen 2012, Seite 401, ursprünglich jedoch bei Johann Michael
von Loën: Der Adel, Ulm 1752, Seite 59-63; siehe dazu ferner aus der
Reihe des Bildatlanten zur deutschen Adelsgeschichte die Grafiken Nr. 14,
15,, 49, 71, 142 (hier besonders ein Vergleich adeliger und nichtadeliger
Armut), 145, 148, 149, 153, 157, 167 und 190, die sich allesamt mehr und
minder mit Adelsarmutsaspekten befassen.
-
[5] = Zum „Schmarotzeradel“ und „adeligen Lumpenproletariat“ siehe
Friedrich Engels: Die Rolle der Gewalt in der Geschichte, in: Marx-Engels-Werke,
Band 21, Ost-Berlin, 5. Auflage 1975, Seite 449-450.
-
[6] = F. Stöckert: Zwei Mächte, in: Unterhaltungs-Beilage
der Leitmeritzer Zeitung (Leitmeritz), Ausgabe Nr. 986 vom 19. September
1885, Seite 3941.
-
[7] = Hierzu siehe detaillierter Claus Heinrich Bill: Gesellschaftliche
Adelsvorstellungen und ihre Bedeutung für die soziale Erzeugung der
Gentilhommerie im 19. Jahrhundert, in: Institut Deutsche Adelsforschung
(Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXI., Folge
Nr. 101, Sonderburg 2018, Seite 2-52.
-
[8] = Dazu siehe Norbert Elias / John L. Scotson: Etablierte und Außenseiter,
Frankfurt am Main 2002, Seite 7-56.
-
[9] = Jobs: Fragmente, in: Die Stunde (Wien), Ausgabe Nr. 1058 vom
17. September 1926, Seite 5.
-
[10] = Sie trat zuvor unter anderem als Mitherausgeberin eines geschichtsdidaktischen
Werkes auf; siehe hierzu Dennis Schmidt / Johanna Singer / Roland Wolf
(Hg.) Bedrohte Ordnungen. Konzepte, Materialien und Arrangements für
den Geschichtsunterricht, Frankfurt am Main 2018, 280 Seiten.
-
[11] = Chelion Begass (geborene Albersmann): Armer Adel in Preußen
1770-1830 (Band 52 der Schriftenreihe „Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen
und Preußischen Geschichte“, Berlin 2020, 18 Abbildungen (darunter
drei farbige); 457 Seiten, gebunden, erschient auch als eBook, ISBN:
978-3-428-15652-8, Preis: 99,90 Euro (gebunden) oder 89,90 (eBook im PDF-Format).
Angenommen als Dissertation unter Prof. Dr. Ewald Frie an der Eberhard-Karls-Universität
zu Tübingen.
-
[12] = Dazu siehe beispielhaft Wilfried Spohn: Neue Historische Soziologie:
Charles Tilly / Theda Skocpol / Michael Mann / Dirk Kaesler (Hg.): Aktuelle
Theorien der Soziologie. Von Shmuel N. Eisenstadt bis zur Postmoderne,
München 2005, Seite 196–230.
-
[13] = Franz J. Bauer: Das lange 19. Jahrhundert, Stuttgart 3. Auflage
2010, 134 Seiten.
-
[14] = Hierzu zählte auch die Diskriminierung armer Adeliger durch
soziale Umwelten aufgrund des Stereotyps reichen Adels, die sogar in Angriffen
auf die körperliche Unversehrtheit enden konnte. So berichtete Nomen
Nescio: Ein Baron als Dienstmann, in: Tages-Post (Linz), Ausgabe Nr. 60
vom 14. März 1885, Seite 2: „Aus Berlin wird geschrieben: Ein Freiherr
in der Uniform eines Dienstmannes präsentierte sich heute als Zeuge
dem hiesigen Schöffengericht, und diese Erscheinung war ganz dazu
geeignet, eine Betrachtung darüber nahezulegen, wie wunderbar der
Strudel der großstädtischen Lebens die menschlichen Geschicke
durcheinander wirbelt. Der Freiherr v. R., der von seinem Standorte an
einer bekannten Ecke aus in der blauen Bluse und der rothen Dienstmannsmütze
vor Gericht erschien, kann auf einen vielverzweigten Stammbaum verweisen,
ja an seiner Wiege sind ihm die schönsten Lieder von dereinstigem
Ruhm und Glanz gesungen worden und dereinst hat ihn die Hauptmanns-Uniform
geziert. Und jetzt Dienstmann an der Ecke einer Straße von Berlin!
Des Schicksals Wege geht ja manchmal recht wunderbar, es wäre aber
gewiß interessant, die Lebensgeschichte dieses Mannes zu erfahren,
der sicher recht oft von den Stürmen dieses Lebens gemartert worden
sein muß, ehe er zu dem Mittel griff, in dieser stillen, ehrlichen
Rolle eines Dienstmannes sich das tägliche Brot zu verdienen. In der
Schlafstelle, wo er abends von den Strapazen des Tages ausruhte,
wohnte er mit einem Arbeiter, Friedrich Richard Lange, zusammen, welcher
wiederholt sich über die freiherrliche Herkunft seines Stubengenossen
lustig machte und die Moralität der Töchter desselben eines Tages
in Zweifel zog. Dies verbat sich v.R. mit allem Nachdruck, es kam zum heftigen
Wortwechsel und schließlich zum Handgemenge, wobei Lange seinem freiherrlichen
Gegner mit kräftiger Faust mehrere Zähne einschlug und drei Rippen
zerbrach, so daß derselbe längere Zeit das Bett hüten mußte.
Der Gerichtshof verurtheilte den Lange wegen dieses Excesses mit Rücksicht
auf die bewiesene Roheit zu 9 Monaten Gefängnis.“
-
[15] = Die Verarmung des Adels an kulturellem, symbolischem und sozialem
Kapital spielt indes bei Begass keine Rolle, obschon aller vier Kapitalarten
(inklusive der ökonomischen) oft miteinander gekoppelt waren (dies
wird auch Begass auf Seite 320 bewußt, ohne daß sie ihre Erkenntnisse
mit Bourdieu systematisiert hätte). Zur Koppelung siehe indes Claus
Heinrich Bill: Strafrechtlicher Adelsentzug in den deutschen Ländern
des langen 19. Jahrhunderts, Sonderburg 2018, Seite 46 und 203 – Die Beschränkung
auf wirtschaftliche Mangellagen bei der Gentilhommerie ist aber zu verschmerzen.
Zu den Kapitalarten, die auch in der Adelsforschung gern gebraucht werden,
siehe Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen
Urteilskraft, Frankfurt am Main 26. Auflage 2018, 910 Seiten. Zur Anwendung
in der Adelsforschung siehe exemplarisch a) Claire Chatelain: Ein adeliges
Beamtenpaar vor Gericht – Der Einsatz von Kapitalsorten im Eheverfahren
zur Trennung von Tisch und Bett am Ende der Regierungszeit von Ludwig XIV.,
in: Institut für die Erforschung der Frühen Neuzeit (Hg.): Frühneuzeit-Info,
Band 26, 2015, Heft Nr. 1, Seite 95-103, b) Siegfried Grillmeyer: Zur Symbiose
von symbolischem und realem Kapital. Das Beispiel Thurn und Taxis zwischen
1800 und 1870, in: Günther Schulz / Markus A. Denzel (Hg.): Deutscher
Adel im 19. und 20. Jahrhundert. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte
2002 und 2003, Sankt Katharinen 2004, Seite 219-260, c) Peter Wiesflecker:
Vampire, Helden und Verschwörer oder familiäre Allianzen als
Kapital – Anmerkungen zur Geschichte und Genealogie der Grafen Nádasdy
bis ins frühe 18. Jahrhundert, in: Rudolf Kropf (Hg.): Die Familie
Nádasdy – Vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, Eisenstadt 2015, Seite
55-67.
-
[16] = Dazu siehe weiterführend Eva Chrambach: Kammzug und Pfauenauge.
Geschichte der Jugendstilglashütte des Ferdinand von Poschinger in
Buchenau, Grafenau 1999, 40 Seiten (Ausstellungskatalog) sowie als Sammelband
Manfred Rasch / Peter K. Weber (Hg.): Europäischer Adel als Unternehmer
im Industriezeitalter , Essen 2017, 303 Seiten.
-
[17] = Dazu siehe exemplarisch Vollrath von Lepel: Verkommener Adel
– Namensheiraten, adelige Zuhälter, adelige Geisteskranke. Eine Studie
für Nicht-Adelige, Zürich 1910, 31 Seiten; dazu auch die Rezension
bei Nomen Nescio: Entgleiste Aristokraten, in:Neues Wiener Journal (Wien),
Ausgabe Nr. 6037 vom 13. August 1910, Seite 3.
-
[18] = Dazu siehe Christoph Conrad (Hg.): Grenzfiguren (Themenheft
der Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische
Sozialwissenschaft“), Göttingen 2013, S. 283-408.
-
[19] = Hinzuweisen wäre hier auf allerlei Studien zur Adelsdevianz,
exemplarisch seien hier nur, neben etlichen Studien zur Adelsarmut,
genannt: a) Claus Heinrich Bill: Bewertungsabläufe bei Adelsdevianz,
in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen Adelsgeschichte
1 – Adelsgrafiken als Beitrag zur komplexreduzierten Aufbereitung von für
die Adelsforschung dienlichen Theorien und Modellen, Sonderburg 2017, Seite
32-33, b) Heike Mund: Adelswelten – Eine Klasse für sich; Teil 4/4:
Aussteiger und Rebellen [Manuskript der gleichnamigen Radiosendung von
2011, gesendet u.a. im Sender WDR 5 in der Sendereihe „Tiefenblick“ am
24. Januar 2016], Köln 2016, 13 Seiten (betrifft Renegaten, Marginal
Man, Randseiter, Deviante), c) Barbara Hauck: Ludwigs Lust. Unstandesgemäße
Liebschaften im Hause Hessen-Darmstadt, Frankfurt am Main 2010, 160 Seiten,
d) Claus Heinrich Bill: Soziotopographie von `social displaced persons´
im Adel“ sowie die Eufunktionen von Adelsdevianz, in: Zeitschrift für
deutsche Adelsforschung, Jahrgang 21, Sonderburg 2018, Folge Nr. 100, Seite
14-49, e) Ellen Widder: Skandalgeschichten oder Forschungdesiderate? –
Illegitime Verbindungen im Spätmittelalter aus geschichtswissenschaftlicher
Perspektive, in: Andreas Tacke (Hg.): „Wir wollen der Liebe Raum geben“
– Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500, Göttingen
2006, Seite 38-92, f) Christoph Koch: Vom Junker zum Bürger. Hellmut
von Gerlach – Demokrat und Pazifist in Kaiserreich und Republik, München
2009, 430 Seiten, g) Sylvia Alphéus / Lothar Jegensdorf: Fürst
Paul von Thurn und Taxis – Ein eigensinniges Leben, München 2017,
352 Seiten, h) Hans Roth: Zwei Haunsberger, die ihrem Adel keine Ehre machten
– Die Vettern Hans Christoph und Christoph Hartneid. Ein Zeitbild aus dem
frühen 17. Jahrhundert, in: Das Salzfass, Band 35, Tittmoning 2001,
Ausgabe Nr. 2, Seite 89-117, i) Ralf Otte: Die „abenteuerlichen“ Heiraten
zwischen Adligen und ihren Haushälterinnen im westfälischen Gebiet
vom 15. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, in: Verein für Geschichte
an der Universität Paderborn (Hg.): Paderborner historische Mitteilungen,
Band 27, Paderborn 2014, Seite 4-33, j) Eleonore Schönborn: Ein Gefreiter
von Adel – Die Desertion des Hugo (Graf) Schönborn, in: Juliane Alton
/ Thomas Geldmacher / Magnus Koch / Hannes Metzler (Hg.): „Verliehen für
die Flucht vor den Fahnen“ – Das Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz
in Wien, Göttingen 2016, Seite 206-210, k) Ulrike Grunewald: Luise
von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1800-1831). Lebensräume einer unangepassten
Herzogin, Köln 2013, 288 Seiten, l) Jochen-Ulrich Peters: Ein Adliger
als Revolutionär. Alexander Herzens frühe Prosa im literarischen
und kulturellen Kontext der „natural´ naja škola“, in: Zeitschrift
für Slawistik, Band 57, Berlin 2012, Seite 462-481, m) Johanna Rickman:
Love, lust, and license in early modern England – Illicit sex and the nobility,
Aldershot 2008, 236 Seiten, n) Marcus Scriven: Splendour and squalor –
The disgrace and disintegration of three aristocratic dynasties, London
2009, 397 Seiten, o) Oliver Auge: „So solt er im namen gottes mit mir hinfahren,
ich were doch verderbt zu einem kriegsmann“ – Durch Kampf und Turnier körperlich
versehrte Adelige im Spannungsfeld von Ehrpostulat und eigener Leistungsfähigkeit,
in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte (MedGG) – Jahrbuch des Instituts
für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Band 28, Stuttgart
2009, Seite 21-46, p) Sonntag, Jana: „Blödigkeit des Gesichts“ und
„Imbecillitas ingenii“ – Zur Erziehung von Fürstensöhnen mit
körperlichen oder geistigen Schwächen, in: Cordula Nolte (Hg.):
Phänomene der „Behinderung“ im Alltag. Bausteine zu einer Disability
History der Vormoderne, Affalterbach 2013, Seite 149-162, q) Hannes P.
Naschenweng: Behindert im 18. Jahrhundert – Der taubstumme Sigismund Graf
Attems, in: Historischer Verein für Steiermark (Hg.): Blätter
für Heimatkunde, Band 74, 2000, Ausgabe Nr. 3, Seite 90-95, r) Claus
Heinrich Bill: Separierungen in der Deutschen Adelsgenossenschaft. Zur
Typologie von freiwilligen und erzwungenen Austritten Adeliger zwischen
1874 und 1945 (Teil 1 von 3), in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche
Adelsforschung, Folge Nr. 63, Jahrgang XIII., Sonderburg 2010, Seite 195-208
(Teil 2/3 in Folge Nr. 64, Jahrgang XIII., Sonderburg 2010, Seite 222-260;
Teil 3/3 in Folge Nr. 65, Jahrgang XIV., Sonderburg 2011, Seite 2-33, s)
Claus Heinrich Bill: Quotlibetische Miscellaneen zur Standesforschung,
Sonderburg 2007, 44 Seiten, t) Claus Heinrich Bill: Verbürgerlichungsprozesse
im Adel, in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Folge
Nr. 23, Jahrgang V., Sonderburg 2002, Seite 1156-1165, u) Claus Heinrich
Bill: Scheinadel durch Annahmen an Kindesstatt. Betrachtungen zum adelsrechtlichen
Phänomen der Adelsadoptionen 1919 bis 1945 (Teil 1), in: Nobilitas.
Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Folge Nr. 46, Jahrgang X.,
Sonderburg 2007, Seite 58-104 , v) Claus Heinrich Bill: Königlich
Preußische Standesmodifikationen von 1701 bis 1919 (Teil 1), in:
Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Folge Nr. 53,
Jahrgang XI., Sonderburg 2008, Seite 170-208, w) Claus Heinrich Bill: Selbstentleibungen
im deutschen vormodernen Adel. Nobilitärer Suizid zur Wiederherstellung
von Ehre?, in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung,
Folge Nr. 79, Jahrgang XVI., Sonderburg Als 2013, Seite 13-32, x) Claus
Heinrich Bill: Handarbeit und Adel als Konfliktfeld soziokultureller Praxis
in der Frühen Neuzeit (Teil 2/2), in: Zeitschrift für deutsche
Adelsforschung, Folge Nr.82, Jahrgang XVII., Sonderburg 2014, Seite 2-11,
y) Claus Heinrich Bill: Funktion von Grenzfiguren in der Geschichte. Zur
Bedeutung von Alterität in der deutschen Historie (Teil 1/2), in:
Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Folge Nr.83, Jahrgang XVII.,
Sonderburg 2014, Seite 51-52, z) Claus Heinrich Bill: Historische Adelsaberkennungen
im interkulturellen Kontext als Beitrag zum Verständnis absteigender
Standesmobilität, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift
für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XX., Folge Nr. 99, Sonderburg
2017, Seite 26-38 – und so weiter.
-
[20] = Johanna M. Singer: Arme adlige Frauen im Deutschen Kaiserreich,
Tübingen 2016, 452 Seiten.
-
[21] = So heißt es bei Begass auf Seite 381: „Das Gesetz markierte
eine Grenze zwischen den Ständen, mithin zwischen Adel und Bürgertum“.
-
[22] = Dazu siehe Robert Schmidt: Praxistheorie, in: Robert Gugutzer
/ Gabriele Klein / Michael Meuser (Hg.): Handbuch Körpersoziologie,
Band 1 (Grundbegriffe und theoretische Perspektiven, Wiesbaden 2017, Seite
335-344.
-
[23] = Dazu siehe Claus Heinrich Bill: Konzept des Adelsbegriffs „Un/doing
Nobility“, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen
Adelsgeschichte 4 – Adelsgrafiken als Beitrag zur komplexreduzierten Aufbereitung
von für die Adelsforschung dienlichen Theorien und Modellen, Sonderburg
2018, Seite 40-41.
-
[24] = Man könnte mutmaßen, daß es eventuell um folgende
Methoden gehen könnte: a) Achim Landwehr: Historische Diskursanalyse,
Frankfurt am Main 2. Auflage 2009, 187 Seiten, b) Linda Hering / Robert
Jungmann: Einzelfallanalyse, in: Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung,
Band 1, Wiesbaden 2019, Seite 619-632. Sicher ist dies aber nicht, denn
die verwendete Methode bleibt letztlich bedauerlicherweise unklar.
-
[25] = Weitgehend deswegen, weil die Quellenart der Bittschriften im
Zusammenhang mit dem Adel bereits benützt worden sind, doch kennt
Begass die Studie von Rehse (2008) ausweislich ihres Literaturverzeichnisses
(Seite 431) nicht; siehe dazu Birgt Rehse: Die Supplikations- und Gnadenpraxis
in Brandenburg-Preußen. Eine Untersuchung am Beispiel der Kurmark
unter Friedrich Wilhelm II. (1786 -1797), Berlin 2008, 676 Seiten.
-
[26] = Glücklicherweise, denn sonst wären solche Wahrnehmungen
verborgen geblieben. Allerdings hatte sich die Massenpresse noch nicht
bis 1830, sondern erst später entwickelt (ab etwa 1840), insofern
konnte diese Quellenart keine Rolle für das Begass`sche Vorhaben spielen.
Siehe dazu jedoch weiterführend Ernst Bollinger: Pressegeschichte,
Band 2 (Die goldenen Jahre der Massenpresse 1840-1930), Freiburg
in der Schweiz 1996, 145 Seiten. – Beispiele aus späterer Zeit
waren a) Nomen Nescio: Ein Graf als Bettler, in: Kärntner Tagblatt,
Ausgabe Nr. 141 vom 24. Juni 1910, Seite 6: „In Mako wurde, wie aus Ofen-Pest
gedrahtet wird, der 32 Jahre alte Graf Hugo Mirbach in Gesellschaft
eines Mädchens bettelnd angetroffen. Der bettelnde Graf gab an, dem
Mädchen zuliebe von zu Hause fortgezogen zu sein. Seinen Lebensunterhalt
wolle er sich durch Betteln verdienen. Der Graf wurde aus Mako abgeschoben.“,
b) Nomen Nescio: Ein Graf als Bettler, in: Morgen-Post (Wien), Ausgabe
Nr. 96 vom 9. April 1877, Seite 3: „Sigmund Graf v.Wagensperg, zu Budweis
in Böhmen geboren, nach Graz in Steiermark zuständig, 31 Jahre
alt, Witwer, wurde vom hiesigen Zentral-Untersuchnngs-Bureau wegen Bettelns
mit gebundener Marschroute heimgewiesen.“, c) Nomen Nescio: Ein Baron als
Bandit, in: Feldkircher Anzeiger (Feldkirch), Ausgabe Nr. 39 vom 27. September
1898, Seite 2: „In der Ortschaft Canalongo bei Palermo wurde der berüchtigte
Baron Jacono verhaftet, der vor einiger Zeit auf der Landstraße einen
Frachtfuhrmann angefallen und der Baarschaft von 800 Lire beraubt hatte.
Der adelige Bandit, welcher der Schrecken der ganzen Gegend gewesen, war
bei seiner Festnahme bis an die Zähne bewaffnet.“, d) Nomen Nescio:
Ein Baron als Lohndiener, in: „Agramer Zeitung (Agram), Ausgabe Nr. 41
vom 21. Feber 1910, Seite 5: „Vor einigen Tagen haben wir nach dem `Pester
Lloyd´ gemeldet, daß aus dem Kaposvarer Irrenhause der dort
unterbrachte Geisteskranke Baron Alexander Zornberg entwichen ist. Nachdem
er in Kaposvar einige Diebstähle verübt hatte, kam er nach Krizevac,
wo er in einem dortigen Hotel die Stelle eines Lohndieners annahm. Der
Baron, der einer preußischen reichsfreiherrlichen Familie entstammt,
wurde in das Irrenhaus nach Kaposvar zurückgebracht.“, e) Nomen Nescio:
Eine Gräfin als Telephonfräulein, in: Pilsner (Pilsen), Ausgabe
Nr. 285 vom 19. October 1903, Seite 2: “Aus Budapest wird uns geschrieben:
Es dürfte vielen, die mit dem ungarischen Magnatenhause in telephonische
Verbindung getreten sind, unbekannt sein, dass das viel angerufene Fräulein,
das dort den telephonischen Verkehr vermittelt, eine Gräfin aus uraltem
Adelsgeschlechte ist. Das arme Telephonfräulein ist eine Gräfin
Zichy und nahe Verwandte des Grafen Ferdinand Zichy, der von sich behauptete,
dass er im Range eines Erzherzogs steht. Eine Verfügung des Präsidenten
des Magnatenhauses hat die `Telephonistinmanipulantin´, wie es im
amtlichen Stile heißt, `des Magnatenhauses Gräfin Zichy in die
zweite Abtheilung der neunten Gehaltsstufe eingetheilt.´“, f) Nomen
Nescio: Eine Baronin als Mädchenhändlerin, in: Schlesisches Tagblatt
(Teschen), Ausgabe Nr. 236 vom 14. Oktober 1909, Seite 2: „Aus Frankfurt
a.M. wird berichtet: Den Ermittlungen der Kriminalpolizei ist es gelungen,
ein internationales Mädchenhandelsbureau aufzudecken, das von einer
Baronin von Randow geleitet wurde. Die Baronin wurde verhaftet. Es ist
erwiesen, daß zahlreiche junge Frankfurter Mädchen, vielfach
aus besseren Gesellschaftsklassen, in Pariser öffentliche Häuser
verschleppt wurden.“, g) Nomen Nescio: Ein Freiherr als Einbruchsdieb,
in: Innsbrucker Tagblatt (Innsbruck), Ausgabe Nr. 213 vom 18. September
1877, Seite 3: „Vom Unter?uchungs-Gerichte in Schweinfurt wird Karl Freiherr
v. Seckendorf jun., 24 Jahre alt, ziemlich groß, ?chlank mit blonden
Haaren, Schnurrbart großen und hervor?tehenden Augen, wegen Verbrechens
des Einbruchsdieb?tahls ?teckbrieflich verfolgt. Seckendorf i?t von Wonfurt,
Landgericht Haßfurt, gebürtig und war früher Sergeant in
einem Jägerbataillon.“ – Diese Quellen, die hier nur in geringer Auswahl
präsentiert wurden, widerlegen jedenfalls die pauschale Begass´sche
Aussage, daß Quellen über die Berufe Adeliger, die von bestimmten
Akteur*innen als „unstandesgemäß“ wahrgenommen wurden, „naturgemäß
äußert rar“ seien (Begass: a.a.O., Seite 318), zumal sie ihre
Aussage nicht zeitlich begrenzt hat.
-
[27] = Nur für den Bereich der Adelsentsetzungen bemerkte Begass
(Seite 337): „Ob es sich bei jedem Delinquenten tatsächlich um einen
Adligen handelte, ist indes ungewiss“. Zweifel sind angebracht bei einer
Familie „von“ Blum. So wurde einer der Familienangehörigen, „Blume,
August Lucas, aus Hugli in Bengalen“ im Jahre 1795 ohne das Adelszeichen
„von“ in eine Matrikel eingetragen, obschon in der Matrikel andere Personen
mit Adelszeichen eingetragen worden waren (siehe dazu Peter Düsterdiek:
Die Matrikel des Collegium Carolinum und der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina
zu Braunschweig 1745-1900, Hildesheim 1983, Seite 26, Eintragsnummer 1288).
Begass übergeht indes ungeachtet dieses Fehlens des Adelszeichens
Blum, weil er später von verschiedenen Akteur*innen als „Hauptmann
v.Blum“ bezeichnet wird, als mindestens „mehrwertiges Zeichen“ nach Frank
Habermann: Zeichen machen Leute – Semiose und Glück in Gottfried Kellers
„Kleider machen Leute“, in: Anja Gerigk (Hg.): Glück paradox – Moderne
Literatur und Medienkultur theoretisch gelesen, Bielefeld 2010, Seite 89-114.
Überhaupt wird die Problematik des nichtadeligen Namensbestandteils
„von“ bei Begass außerhalb des Adelsentsetzungsteils nicht reflektiert;
sie nimmt sogar in einzelnen Fällen, in denen eine Adesusurpation
im Raume stehen könnte, die Meisterzählung verlorenen Adels ohne
Prüfung als historische Realität hin (Seite 329). – Siehe hierzu
die Meinung von Alexander v.Dachenhausen (1848-1916) über Aufschöwungstafeln,
die beim Damenstift Fischbeck eingereicht werden mußten, wenn eine
Dame dort exspektiviert werden wollte. Dachenhausen warnte davor, den Ahnentafeln
leichtgläubig Relevanz und Legitimität zu verleihen; er meinte,
daß „man ohne sämmtliche Abstammungs- und Adelsbeweise eine
solche Ahnentafel nie auf Treu und Glauben als richtig annehmen dürfe.
Es könne zu viel und zu leicht dabei geschwindelt werden […] Zur Zeit
des Siebenjährigen Krieges seien Abenteurer aus aller Herren Länder
zusammengeströmt und unter einem sich selbst beigelegten Adelstitel
in die Dienste König Friedrichs getreten. Damals habe sich kein Mensch
um die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Adels dieser Offiziere gekümmert.
Da nach preußischem Landrecht die unbeanstandete 44jährige Führung
des Adelstitels ausreichend gewesen wäre, um einer Familie den Adel
nicht mehr absprechen zu können, seien auf diese Weise besonders in
Preußen eine Menge neuer Adelsfamilien entstanden, die kein Diplom
besäßen und deren Adelsursprung man nicht nachweisen könne.“
Zitiert nach Renate Oldermann: „Aus einem uhralten hochansehnlichen Geschlecht
entsprossen“. Die adligen Töchter im Stift Fischbeck. Herkunft, Selbstverständnis
und Glaubenspraxis (Band 4 der Reihe „Schaumburger Beiträge“, herausgegeben
von Stefan Brüdermann im Auftrag der Historischen Arbeitsgemeinschaft
für Schaumburg), Göttingen 2019, Seite 233. – Ein nachweislich
„mehrwertiges Zeichen“ lag auch bei dem Maurergesellen von Starszewski
vor, den Begass nur als „einwertiges Zeichen“ und damit als unumstritten
„adelig“ betrachtet (siehe dort, Seite 321, Fußnote 372). Tatsächlich
aber war Alexander Carl Wilhelm von Starszewski 1840 lediglich zum „Verlust
des nicht erwiesenen Adels“ verurteilt worden; siehe dazu Geheimes Staatsarchiv
Preußischer Kulturbesitz in Dahlem, Bestand I.HA Rep.100 Ministerium
des Königlichen Hauses Nr. 3750, Eintragsnummer 238 sowie ibidem,
Nr. 3770, Blatt 71-73. – Begass hätte daher an geeigneter Stelle eine
Bemerkung darüber, daß sich unter den „von“-Namensträgern
auch institutionell nicht anerkannte Nichtadelige hätten befinden
können, einflechten können. Denn sonst besteht die Gefahr, „mehrwertige
Zeichen“ für „einwertige Zeichen“ zu halten. Siehe zur Thematik unter
anderem Claus Heinrich Bill: Die Diskussion um das bürgerliche „von“
1890-1925, in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung,
Jahrgang IV, Sonderburg 2001, Seite 926-937.
-
[28] = Hierzu siehe, bereits seit Mai 2018 im Druck vorliegend, Claus
Heinrich Bill: Strafrechtlicher Adelsentzug in den deutschen Ländern
des langen 19. Jahrhunderts, Sonderburg 2018, 406 Seiten (revidierbar ist
mithin die Begass´sche Aussage, die Adelsentsetzungen hätten
die Nobilitierungen in Preußen quantitativ überschritten oder
in Österreich seien nur „etwas mehr als 500“ Fälle überliefert;
tatsächlich lassen sich dort über 1.300 Fälle feststellen;
siehe dazu Bill: Strafrechtlicher Adelsentzug, Sonderburg 2018, Seite 124).
– Fernerhin fanden bei Begass, obschon sich jeweils explizit mit Adelsarmut
befassend, keine Berücksichtigung: a) Michael Rupp: „Wan ir adel ist
frihait“ – Das franziskanische Ideal der Armut in der volkssprachlichen
Verkündigung bei David von Augsburg, Berthold von Regensburg und Marquard
von Lindau, in: Heinz-Dieter Heimann (Hg.): Gelobte Armut, Paderborn 2012,
Seite 129-151, b) Zoltán Fónagy: Die ungarische Gesellschaft
in der Reformzeit, in: István György Tóth (Hg.): Geschichte
Ungarns, Budapest 2005, Seite 443-452 (darin Seite 443-448 ein Kapitel
„Reiche und arme Aristokratie 1790-1848“; betrifft Adelsarmut des Kleinadels),
c) Gudula Walterskirchen: Armut und Reichtum im österreichischen Adel
im 20. Jahrhundert, in: Ernst Bruckmüller (Hg.): Armut und Reichtum
in der Geschichte Österreichs, Wien / München 2012, Seite 193-214,
d) Marcus Funck: Adelsarmut, in: Eckart Conze (Hg.): Kleines Lexikon des
Adels, München 2005, Seite 18-19, e) Johannes Rogalla von Bieberstein:
Adelsaberkennung einschließlich Niederlegung des Adelstitels, in:
Dresdner Residenztreff (Hg.): VII. Kolloquium zur sächsischen Genealogie
mit dem Thema „Adelsgenealogien und Adelsverlust in Sachsen“, abgehalten
im Stadtarchiv Dresden am 17. April 2010, Dresden 2010, Seite 21-33 (betrifft
unter anderem auch Adelsarmut, Missheiraten, Emigration, Formen des Betteladels,
Kleinadels oder Halbadels), f) Jürgen Jochimsthaler: Der treulose
Adel. Die bürgerliche Lust an adliger Grenzüberschreitung, in:
Walther Schmitz / Jens Stüben / Matthias Weber (Hg.): Adel in Schlesien,
Band 3 (Adel in Schlesien und Mitteleuropa. Literatur und Kultur von der
Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart), München 2013, Seite 365-383
(betrifft unter anderem Adelsarmut), g) Stephanie Lorenz: Verarmungsverläufe
bei adligen Frauen. Bittschriften an den preußischen König in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 2011, 114 Seiten (Magisterarbeit
Universität Trier 2011), h) Michael Bienert: „Der Herrschaft Zauber
aber ist das Geld“ – Adel, Armut und Kapital bei Adelbert von Chamisso,
in: Robert-Bosch-Stiftung (Hg.): Chamisso – Viele Kulturen und eine Sprache,
Stuttgart 2009, Ausgabe Nr. 1, Seite 26-29, i) Karin Baumgartner: „Der
verarmte Edelmann wird Mäkler, Speculant, oder gemeiner Bauer“ – Geld,
Ökonomie und Adel in den konservativen Texten des Vormärz, in:
Jutta Nickel (Hg.): Geld und Ökonomie im Vormärz (19. Jahrbuch
des Forum Vormärz-Forschung 2013), Bielefeld 2014, Seite 37-55, j)
Nomen Nescio: Meldungen – Vortrag. Verarmter Adel in Preußen, in:
Bergedorfer Zeitung, Ausgabe Nr. 92 vom 19. April 2012, Seite 17, k) Kathleen
Jandausch: Ein Name, Schild und Geburt. Niederadlige Familienverbände
der Neuzeit im südlichen Ostseeraum, Bremen 2011, 392 Seiten (betrifft
unter anderem ökonomisch verarmten Adel und Adelskriminalität
als Bewältigungsstrategie), l) Gerhard E. Sollbach: Armer Adel auf
Haus Herbeck, in: Hagener Heimatbund (Hg.): Hagen-Buch – Impulse zur Stadt-,
Heimat- und Kunstgeschichte, Band 6 (2012), Hagen 2011 [sic!], Seite 197-200,
m) A. Sperl: Verarmung des Adels im Mittelalter, in: Oberpfalz, Kallmünz
1924, Jahrgang XV, Seite 134, n) C.: Verein der Adelsgenossenschaft gegen
Verarmung ihrer Glieder, in: Zeitung für den Deutschen Adel, Jahrgang
IV, Leipzig 1843, Seite 81-82, o) Nomen Nescio: Verein der Adels-Genossenschaft
gegen Verarmung ihrer Glieder, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang IV, Berlin
1886, Seite 489, p) Friedrich v. Sydow: Über die Verarmung adeliger
Familien, in: Zeitung für den Deutschen Adel, Jahrgang IV, Altenburg
1843, Seite 327-328, 331-332, 335-336, 339-340 und 343-344, q) Stefan Kekulé
v.Stradonitz: Armut und Reichtum im deutschen Adel, in: Deutsche Revue,
Stuttgart, Ausgabe vom Januar 1911, Seite 35-42 – Diese Lücken im
Forschungsstand hätten vermieden werden können, wenn sich Begass
der einschlägigen Bibliographien zum deutschen Adel bedient hätte;
auch sie fehlen jedoch bedauerlicherweise im Literaturverzeichnis (Seite
409). Siehe dazu a) Claus Heinrich Bill: Bibliographie zum deutschen Adel.
Eine Schrifttumsliste 1200-1999, Sonderburg 1999, 503 Seiten, sowie b)
Claus Heinrich Bill: Neue Bibliographie zum deutschen Adel. Monographien,
Sammelbände und Aufsätze des Erscheinungszeitraums Jänner
2000 bis September 2019 zum Adel in den deutschsprachigen Ländern,
Sonderburg 4. Auflage 2019, 451 Seiten. – Obschon Begass außerdem
soziologische Sichtweisen anklingen läßt, fehlen doch leider
Bezüge zur Abstiegstheorie von Paula Kronheimer: Grenzglieder des
Standes, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie, Band 6,
München 1927, Seite 248-268, sowie zu Piritim Sorokin: Soziale Bewegungsvorgänge,
in: Ibidem, Seite 146-152. – Fernerhin noch ein Zitierfehler: Der
vom Forschungsstand heute qualitativ wie quantitativ überholte und
daher veraltete Aufsatz des Rezensenten über den Adelsverlust, den
Begass benützt hat, erschien nicht, wie bei Begass (Seite 331 und
409) angegeben, im Jahre 2000 und im Jahrgang 17, sondern erst im Jahre
2001 im Jahrgang IV in der Folgennummer 17.
-
[29] = Typisch für diese eingeengte Perspektive wäre Bruno
Sobotka: Burgen, Schlösser, Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpommern,
Stuttgart 2. Auflage 1995, 350 Seiten.
-
[30] = Diese Perspektive wurde früher indes öfters wahrgenommen,
unter anderem bei Albert Freiherr von Seld: Sechzig Jahre oder ein Leben
an Bauer- und Fürsten-Höfen, unter Säufern, Kindern und
Verbrechern, Leipzig 1865, Seite 11; er schrieb zum polnischen Kleinadel:
„Wie niedrig dieser Adel oft stand, davon hat ein deutscher Tagelöhner
keinen Begriff. Das ganze Eigentum eines solchen Edelmannes bestand häufig
in einem Hause ohne Schornstein, das Haus aber bestand aus einem einzigen
Raum, in welchem Eltern und Kinder, Ferkel und Hühner, Kälber
und Gänse in traulicher Gemeinschaft lebten […] Das einzige, was die
Wohnung eines solchen Edelmannes von der des ärmsten Bauern unterschied,
das war ein Säbel, der an der Wand hing und den nur der Adel führen
durfte.“ – Man könnte überdies auch einmal, um auf das Resilienzkonzept
zurückzukommen, für das 16. Jahrhundert Straßenraub als
dissoziale Maßnahme zur Resilienz ostelbischer Kleinadeliger gegen
ökonomischen Mangel untersuchen. Siehe dazu Ludolf Parisius: Adel,
in: Ludolf Parisius (Hg.): Deutsches Volks-Lexikon, Lieferung Nr.
1, Berlin 1869, Seite 32.
-
[31] = So bei dem invaliden Leutnant v.Puttkamer, Gutsbesitzer auf
Crampe in Hinterpommern; siehe dazu das Schreiben desselben an das pommersche
Oberpräsidium, de dato Crampe, den „Nb.“ (November?) 1831, in: Staatsarchiv
Stettin, Bestand Oberpräsidium, Akte mit der Signatur 65/73/0/19.5/4907
(Unterstützungs-Gesuche des Gutsbesitzers von Puttkamer auf Crampe),
Bleistiftpaginierung Nr. 74.
-
[32] = Dazu siehe als Beispiel Nomen Nescio: Oeffentliche Bitte, in:
Salzburger Chronik (Salzburg), Ausgabe Nr. 181 vom 10. August 1901, Seite
9: „Ein verarmter Adeliger, von Beruf Kirchenmaler und Vergolder, dem der
rechte Fuß amputiert werden musste, der außerdem lungenkrank
und arbeitsunfähig ist, bittet auf diesem Wege edle Menschenfreunde
um eine kleine Unterstützung. Spenden übernimmt die Redaction
des Blattes, welcher Name und Wohnort bekannt sind.“
-
[33] = Begass hat diese Kategorien der Verletzlichkeit und Widerstandsfähigkeit
im sozialen Bereich wegweisend aus der Sozialen Arbeit in die Adelsforschung
übernommen (Begass a.a.O., Seite 52). Sie bezieht sich dabei, ohne
jedoch nähere theoretische Ausführungen zum Konzept zu machen,
auf den Sammelband von Martin Endreß / Andrea Maurer (Hg.): Resilienz
im Sozialen. Theoretische und empirische Analysen, Wiesbaden 2015, 316
Seiten, ebenso auf den Band von Hans-Joachim Bürkner: Vulnerabilität
und Resilienz. Forschungsstand und sozialwissenschaftliche Untersuchungsperspektiven,
in: Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (Hg.):
Working Paper Nr. 43, Hannover 2010, Seite 5-48. – Aus dem oben erwähnten
Endreßband, der sich zwar vor allem auf Diskriminierung bezieht,
wären indes sicherlich noch vertiefenswert a) Gabriela B. Christmann
/ Karsten Balgar / Nicole Mahlkow: Zur sozialwissenschaftlichen Konzeption
von Vulnerabilität und Resilienz. Konzeptionelle Überlegungen
und empirische Betrachtungen am Beispiel von Städten, in: Martin Endreß
/ Andrea Maurer (Hg.): Resilienz im Sozialen. Theoretische und empirische
Analysen, Wiesbaden 2015, Seite 123-149, sowie b) Markus Promberger / Lars
Meier / Frank Sowa / Marie Boost: Chancen des Resilienzbegriffs für
eine soziologische Armutsforschung, in: Ibidem, Seite 265-294. – In letzter
Zeit kam es häufiger zu Bezugnahmen aus der Adelsforschung auf das
Resilienzkonzept; siehe dazu a) Claus Heinrich Bill: Bewältigungsformen
von Lebensproblemen im historischen Adel (nach dem Modell Doehlemann),
in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen Adelsgeschichte
5 – Adelsgrafiken als Beitrag zur komplexreduzierten Aufbereitung von für
die Adelsforschung dienlichen Theorien und Modellen, Sonderburg 2018, Seite
50-51, ferner b) Claus Heinrich Bill: Lebensbewältigung in der Gentilhommerie
(nach dem Modell Böhnisch 2016), in: Institut Deutsche Adelsforschung
(Hg.): Bildatlas zur deutschen Adelsgeschichte 6 – Adelsgrafiken als Beitrag
zur komplexreduzierten Aufbereitung von für die Adelsforschung dienlichen
Theorien und Modellen, Sonderburg 2019, Seite 48-49, sowie c) Urte Stobbe:
Adel (in) der Literatur – Semantiken des Adligen bei Eichendorff, Droste
und Fontane, Hannover 2019, Seite 35-41. – Zur Geeignetheit verschiedener
Resilienzkonzepte für die Adelsforschung siehe außerdem Claus
Heinrich Bill: Resilienter Adel bei Eichendorff, Fontane und Droste-Hülshoff
in der Schwellenzeit der Formierung der Moderne, in: Institut Deutsche
Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang
XXII, Folge Nr. 109, Sonderburg 2019, Seite 37-50. – Auch eine Form
der Resilienz war, konnte man die ökonomischen Mangellagen schon nicht
beseitigen, die Einstellungsänderung per Aristokratisierung und Sakralisierung
der Armut, so geschehen bei Nomen Nescio: Professor Josef Wichner. Ein
vaterländischer Volksschriftsteller der Gegenwart, in: Vorarlberger
Volksblatt (Bregenz), Ausgabe Nr. 94 vom 29. April 1904, Seite 2, wo es
heißt: „Wichner nun, der unter sehr ärmlichen Verhältnissen
aufwuchs und auch auch in späteren Jahren die Bitterkeiten der Armut
zur Genüge kostete, ist deshalb doch kein Feind derselben geworden;
er spricht in seinen Schriften vom `Adel der Armut´ und preist in
denselben `das Glück der heiligen Armut´. Also auch Armut kann
glücklich sein nach der Lehre Wichners und es ist ein verfehltes Beginnen,
den irdischen Besitz in den Mittelpunkt unseres Tuns und Lassens zu rücken.“
-
[34] = So begründete „Fräulein Eleonora Charlotte v Pachaly
allhier“ (in Breslau) „zur Vertheilung der Interessen am Tage Charlotte
in gleichen Theilen an 5 arme Personen von Adel und an 5 arme Personen
bürgerlichen Standes und weiblichen Geschlechts“ am 22 July 1780 eine
Stifutng mit einem Grundkapitalstock von 8.800 Talern; siehe dazu sie „Summarische
Uebersicht aller von der hiesigen Kaufmannschaft verwalteten und mitverwalteten
Stiftungen 1823 nach Mittheilung der Herren Kaufmanns Aeltesten Geh. Commerzienrath
Eichborn, Commerzienrath Landeck und Commerzienrath v.Wallenberg, in: Johann
Jacob Heinrich Ebers: Das Armenwesen der Stadt Breslau nach seiner früheren
und gegenwärtigen Verfassung dargestellt nebst einem Versuch über
den Zustand der Sittlichkeit der Stadt in alter und neuer Zeit, Breslau
1828, Seiten 435.
-
[35] = Werner Mosse (Adel und Bürgertum im Europa des 19. Jahrhunderts.
Eine vergleichende Betrachtung, in: Jürgen Kocka [Hg.]: Bürgertum
im 19. Jahrhundert, Band 3: Verbürglichung, Recht und Politik, Göttingen
1995, Seite 21) meinte indes noch, Beamtenstellen und Militärstellen
hätten ein soziales Adelsabsinken vermieden und eine adelige Lebensweise
garantiert; die neuen Erkenntnisse von Begass widersprechen dieser älteren
und wenig differenzierten Meinung.
-
[36] = Zu diesem vor allem am Ende des 20. Jahrhunderts aktuellen Diskurs
siehe exemplarisch Dieter Lohmeier: Der Edelmann als Bürger. Über
die Verbürgerlichung der Adelskultur im dänischen Gesamtstaat,
in: Dieter Lohmeier / Christian Degn (Hg.): Staatsdienst und Menschlichkeit.
Studien zur Adelskultur des späten 18. Jahrhunderts in Schleswig-Holstein
und Dänemark, Neumünster 1980, Seite 127-140 (neuerdings aber
auch noch Joachim H. Knoll: Der Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen
im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 2013, 298 Seiten), sowie Gerald N. Izenberg:
Die Aristokratisierung der bürgerlichen Kultur im 19.Jahrhundert,
in: Peter Uwe Hohendahl / Paul Michael Lützeler (Hg.): Legitimationskrisen
des deutschen Adels 1200-1900, Stuttgart 1979, Seite 233-244. Spätere
Studien lehnen diese beiden Thesen weitgehend ab, so beispielsweise Gunilla
Budde: Blüterzeit des Bürgertums – Bürgerlichkeit im 19.
Jahrhundert, Darmstadt 2009 (behandelt auf den Seiten 92-96 im Kapitel
„Zwischen Abschottung und Feudalisierung“).
-
[37] = Dazu siehe unter anderem Rüdiger Peuckert: Abweichendes
Verhalten und soziale Kontrolle, in: Hermann Korte / Bernhard Schäfers
(Hg.): Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, Wiesbaden 9. Auflage
2016, Seite 127-151.
-
[38] = Aloys Fischer: Psychologie der Gesellschaft, in: Gustav Kafka
(Hg.): Handbuch der vergleichenden Psychologie, Band II., München
1922, Seite 402.
-
[39] = Dazu siehe Thorstein Bundle Veblen: Theorie der feinen Leute.
Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt am Main
3. Auflage 2015, 381 Seiten (amerikanische Erstausgabe 1899 unter dem Titel
„The Theory of the leisure class. An economic study in the evolution of
institutions“).
-
[40] = Wie noch Heinz Reif: Adel, Aristokratie, Elite.: Sozialgeschichte
von Oben, Berlin / Boston 2016, VIII und 341 Seiten.
|