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Digitale Arbeitstechniken in den KulturwissenschaftenRecherchieren und Publizieren im Medienumbruch der digitalen Revolution des XXI. CentenariumsIn einer relativ kurzen Zeit der langen Wissensgeschichte der Menschheit existiert seit erst anderthalb Jahrzehnten das World Wide Web als breiten Schichten zugängliche und auch von den Wissenschaften genutzte Plattform für Kommunikation. Die immer weiter wachsende Größe des Weltnetzes, deren Ausmaße nicht erkennbar sind und bereits jetzt bei weitem die Menge an Informationen überschreitet, die ein Mensch je verwalten könnte, die Flüchtigkeit seiner Inhalte haben eine erdrutschartige Egalisierung der Deutungs- und Publikationshoheiten zur Folge. Die Wissenschaften verlieren ihre Hegemonie, die kleine Gruppe von Intellektuellen ist nicht mehr allein maßgebend für Meinungen, Auffassungen und Auslegungen. Es gibt nicht mehr nur Sender und Empfänger von Informationen, sondern "Senpfänger": Jeder kann, wenn er will, Rezipient und Autor zugleich sein. Daß diese "Abwertung von Wissenschaft" eine Neupositionierung
verlangt, ist eindeutig: In einer gewandelten Welt, deren Wandlung nicht
abgeschlossen ist, kann man sich als Wissenschaftler nicht in seinen Elfenbeinturm
zurückziehen.
Da das WWW ein noch relativ junges Medium ist, von dem aber zumindest klar ist, daß seine Bedeutung eher zu als abnehmen wird, bemühen sich viele Wissenschaftler Antworten auf diese Herausforderungen zu finden. Es handelt sich dabei um Pionierarbeit, um Versuche und Vorschläge, die sich in der Praxis erst einmal bewähren müssen, vielleicht wieder verworfen oder doch bestätigt werden. Eine Sammlung solcher Momentaufnahmen bietet jetzt seit Neuestem der Böhlauverlag Wien mit seinem Sammelband "Digitale Arbeitstechniken für die Geistes- und Kulturwissenschaften", an. [1] Dort werden erste Verortungen dargestellt und die Grenzen und Vorteile einer WWW-Nutzung vor allem für denjenigen, der sich an die Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit macht, vorgestellt. Aber auch andere Techniken, die mit dem Weltnetz nichts zu tun haben, kommen zur Sprache. Ein Aufsatz beispielsweise beschäftigt sich mit sogenannten Schreibtoolprogrammen, die ein qualitätsvolleres Exzerpieren, Aufbereiten und Schreiben ermöglichen können. Es gibt kulturoptimistische Ansätze in den insgesamt 17 Aufsätzen, die die Neupositionierung des Wissenschaftlers aufrufen und dafür praktische Hinweise haben und solche, die als Kulturpessimisten die Vereinfachung der Plagiate und die sogenannte "Gratismentalität" des WWW-Benutzers kritisieren. Es werden Hegemonien, wie die von Google, kritisiert und zugleich werden auch derlei Hegemonien selbst konstruiert, denn einige Autoren des Bandes reden nicht von Textverarbeitungsprogrammen, sondern gleich von "Word". Aber es werden auch seltsame Rituale des Wissenschaftsbetriebes dargelegt: So ist es in der Wissenschaft nicht nur wichtig, möglichst viel zu publizieren, sondern auch die Aufmerksamkeit und Anerkennung der Mitwissenschaftler zu erlangen. Wissenschaftler rezensieren andere Wissenschaftler positiv, um sich gegenseitig als Berufsstand und konformer Angehöriger desselben Standes zu beweihräuchern und Renommage zu erteilen Das ist freilich fatal und eingebildet und eine schlechte Wahl für die Qualität eines wissenschaftlichen Beitrages noch dazu. Der weit verbreitete Vebleneffekt [2] ist ein Krebsgeschwür der etablierten Wissenschaft mit ihrer Titelsucht, ihren Beharrungen auf bestimten Codes und Konventionen. Es sollte doch vielmehr um Inhalte gehen und nicht um Äußerlichkeiten. Denn wer sich von Äußerlichkeiten (Publikationsliste, Verlagsname, Titel) blenden läßt, zeigt damit kein Qualitätsbewußtsein, sondern Standesdünkel. Dies geben einige Beiträger des Sammelbandes sogar unumwunden zu: Dem Veröffentlichen in renommierten Verlagen und dem möglichst häufigen Zitieren in auf sich selbst bezogenen gegenseitigen Zitatkreisen wird tatsächlich als ein Kriterium für die Qualität eines Textes gehandelt. Immerhin: Da gibt jemand zu, daß es in den universitären Wissenschaften nicht nur um Forschung und Lehre geht, sondern um Würde, Hierarchie, Prestige. Das ist ein seltenes internes Bekenntnis zum Prinzip des Bluffs des Hochschulsystems. [3] Da wird z.B. behauptet, daß fehlerhafte Rechtschreibung aus Weltnetzseiten ein Kriterium sei, daß man es nicht mit ganz koscheren Inhalten zu tun habe: Die Qualität müsse niedrig sein (Seite 45). Und das steht interessanterweise in einem Buch, daß selbst Rechtschreibfehler beinhaltet (Seite 19: "Maßtab", Seite 36: "Äufnen von Erfahrungswissen", Seite 171: "immerhin immerhin"), von denen man teils noch nicht einmal den Sinnzusammenhang erschließen kann: Bei "Maßtab" ist klar, daß es sich um "Maßstab" handelt, was aber unter "Äufnen" zu verstehen ist, weiß man nicht auf Anhieb. Das darf nicht falsch verstanden werden: Rechtschreibfehler kommen schließlich auch in den besten Aufsätzen vor und lassen sich grundsätzlich nicht ganz vermeiden (genauso wie hier in dieser Zeitschrift), nur sollte man beim Bekanntsein dieser Problematik nicht auf einer Rechtschreibfehlerfreiheit herumreiten und Steine werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt. Weitere Kritik ist zu zwei Bildunterschriften anzubringen; hier scheinen einige Zuordnungen vertauscht worden zu sein (Seite 73, dort ist kein Blau des Himmels zu sehen wie im Haupttext angegeben oder Seite 75, dort ist kein Vogel erkenntlich, wie in der Bildbeischrift vermerkt). Doch abgesehen von diesen negativen Bemerkungen muß das Werk insgesamt in seiner Vielfalt der Ansätze als ein innovatives Pionierwerk verstanden werden, da es unter den verschiedensten Blickwinkeln die Problematik der flüchtigen Quellen und Editionen, Veröffentlichungen und Daten, die haptisch nicht mehr zu fassen sind, behandelt. Namentlich für den Forschenden, der auf den Umgang mit virtuellen Medien nicht mehr verzichten kann, bietet das Buch wichtige Momentaufnahmen der derzeitigen Sachlage. "Derzeitig", weil das WWW sowohl in seinen Ausrichtungen als auch Inhalten relativ unstetig ist und in einer dauerenden Entwicklung befindlich ist (es gilt: panta rhei). Daher kommen auch Überlegungen zur bisher noch unpopulären Verwendung von URNs anstatt URLs zur Sprache, fernerhin Aspekte der semiotischen Bildanalyse, Überlegungen zum Thema Open Access (virtueller kostenfreier Zugang zu elektronischen Publikationen) oder Annotationen zum Urheberrecht im Weltnetz. Aus der Vielzahl der unübersichtlichen neuen Bereiche, die sich mit einer Recherche von Geistes- und Kulturwissenschaftlern im Netz ergeben, bietet der vorliegende Band, dessen Artikel alle einzeln und daher auch als Nachschlagewerk zu lesen sind, einen breit gefächerten Aus- und Einblick [4] - und dies ganz noch zu einem unschlagbar niedrigen Ladenpreis von knapp 20 Euro. Diese Rezension, verfaßt von Claus Heinrich Bill, erscheint zugleich in unserer instutseigenen Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
[4] = Andere Fragen wie die Bedeutung und Behandlung von Googlebooks werden nicht besprochen. Hier aber sei verwiesen auf den Aufsatz des Rezensenten mit dem Titel "Virtuelle Digitalisate mit Adelsbezug als Heuristikrevolution? Annotationen zu einem für die Adelsforschung bedeutend werdenden Onlineprojekt", in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XI., Sonderburg 2008, Folge 54, Seite 221-227 |
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