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Adelslandschaften als sozial-topographisches KonzeptNeue Anregungen für die Adelsforschung aus BayernNeben einiger Berechtigung, bestimmte adelige Persönlichkeiten
der Vergangenheit in Biographien zu portraitieren, geraten naturgemäß,
da Adel immer auch eine soziale Kategorie und Humandifferenzierung war,
Adelskollektive in den Blick der Forschung, wenn es um die Nobilität
an sich geht. Hier spricht man von ehedem rechtlich fixierten Korporationen
wie den Ritterkreisen oder den Ritterschaften, aber auch lockeren Verbünden,
die nicht eine derart feste Organisation besaßen, gleichwohl aber
trotzdem über Einfluß verfügten.
Ein Beispiel für diese Form der Wahrnehmung ist die Meldung eines Anonymus (1810) über die estländische Ritterschaft und ihre Ergebenheitsadresse dem russischen Zaren gegenüber: „Bey der jüngst erfolgten hundertjährigen Feyer der Unterwerfung Ehstlands unter den Russischen Scepter, hat der Ehstländische Adel eine Deputation, deren Glieder die Landräthe Löwenstern, Baron Ungern-Sternberg, und der Capitain-Lieutenant Bremern waren, hie[r]her abgefertigt, um Sr. kaiserl. Majestät die Gefühle der innigsten Erkenntlichkeit, Treue und Unterthänigkeit, von denen der Ehstländische Adel beseelt ist, darzubringen. Die Deputi[e]rten wurden Sr. kaiserl. Majestät vorgestellt, und hernach zur kaiserl. Tafel eingeladen. Der Ehstländische Adel, von dem Wunsche beseelt, das Andenken an diese glückliche Epoche auf die späteste Nachwelt zu bringen, bestimmte: 1) 7000 Rubel zum Besten des Waisenhauses in Reval einzutragen. 2) Am Tage der Jubelfeyer alle Armen in Ehstland, auf Kosten des Adels zu bewirthen. 3) Im Saale der Adelsversammlung die marmornen Büsten Peter des Ersten und Alexander des Ersten aufzustellen.“ [2] Doch ähnlich wie in der Politologie bei der Erforschung sozialer Bewegungen [3] hat auch die Adelsforschung nach weniger offensichtlich organisierten Gemeinschaften recht spät Ausschau gehalten. Zeitgenössische Wahrnehmungen einer Adelsgemeinschaft in weniger festen Strukturen hat es indes schon immer gegeben; hier wurde häufig mit Stereotypen über eine Randgruppe gearbeitet, so nicht nur in der DDR, [4] auch bei einem früheren Anonymus (1872) in der Formierungsphase der Moderne: „Ein `demokratisches Volk´ kann und darf in der That nicht von den Launen und reactionären Einfällen einer Adelsclique abhängen, welche weder politisch gesund denkt, noch national fühlt, welche das Absurde will und das Unvernünftige thut.“ [5] Auch die Forschung hat, abseits dieser hier exemplarisch erwähnten pejorativen Etikettierung, Ansätze zu einer Wahrnehmung durchlässigerer Adelsstrukturen bereits im 20. Jahrhundert geschaffen; die Rede ist hier speziell vom Begriff der „Adelslandschaft/en“. [6] Doch erst seit den 2010er Jahren ist für dieses Wort eine erhöhte Konjunktur zu beobachten. [7] Sie wird unterstützt und fortgeführt durch einen neuen bayerischen Sammelband von Wolfgang Wüst mit dem Titel „Adelslandschaften – Kooperationen, Kommunikation und Konsens in Mittelalter, Früher Neuzeit und Moderne“. [8] Hierbei stehen vor allem Netzwerke des Adels in Bayern im Fokus, [9] sowohl im kurfürstlichen Altbayern als auch im fränkischen Bayern. Zusätzlich angereichert werden diese landesbeschränkten Studien mit Untersuchungen über europäische Vergleichsregionen, die in diesem Sammelband, beruhend auf einer Ettaler Kloster-Konferenz vom Feber 2017, abgedruckt worden sind. Neben einer knappen Themeneinführung mit der Definition des namensgebenden Begriffes und der Vorstellung der Beiträge folgen dann insgesamt zwölf Aufsätze, von denen sich acht bayerischen Territorien widmen. Hierbei treten Netzwerke zwischen Fürsten am Beispiel der Kunstkammer München ebenso in den Blick wie die Netzwerke der Ettaler Ritterakademisten oder Adelsideale in der mittelalterlichen Literatur (hier jedoch weder auf Adelskommunikationsbereiche noch auf die Konzeption der Adelslandschaften zurückgreifend), genauso aber auch Einflußnahmen auf die Korporationen des fränkischen Adels in der Frühneuzeit oder die Bedeutung von Wappenbüchern für die Identitätskonstruktion von adeliger, hegemonialer und etablierter Humandifferenz. [10] Aber auch die Geheime Konferenz unter Kurfürst Max III. Joseph und ihre adeligen Netzwerke aus Räten werden eingehend beleuchtet. Jedoch flossen nicht nur Status-quo-Beobachtungen in den Band mit ein, sondern auch Wandlungsvorgänge, so bei der Betrachtung des Zusammenschlusses des spätmittelalterlichen bayerischen Adels zur Landschaft und deren Umgang mit nachdrängenden sozialen Aufsteigern. Weiters wird bei den neueren Analysen deutlich, daß gerade der Adel kaum nur über regionale Netzwerke verfügte, sondern auch überregionale Projekte in Angriff nahm, wie ein Beitrag über die Zusammenarbeit zwischen Ritterkreis und Reichskreisen in Franken überzeugend herausarbeitet. Besonders hervorzuheben ist auch der in einem weiteren Beitrag beleuchtete Kulturtransfer von Italien nach den nordalpinen Räumen und die Bedeutung, die Italien für die Bildung des Adels besaß – und im 17. Jahrhundert dann auch wieder verlor. Sicher bemerkenswert ist es schließlich, daß der Band Ansätze vereinigt, die sowohl konfessionsüberschreitend als auch landschaftsübergreifend und politisch hybridisierend wirken. Denn abgesehen von der überzeitlichen Kontinuität intergenerationeller Netzwerke, die, biologisch über das Konzept Abstammung eingeklammert, als geradezu adelskonstituierend gelten dürfen, [11] waren myrioramatische personelle und auch korporative Verbindungen die Grundlage gesellschaftlichen Reüssierens am „oberen Ende“ der Gesellschaft. Diese Vielfalt aufgezeigt und einen wichtigen Beitrag zur weiteren Differenzierung der Forschung über Adelskommunikationen und Adelslandschaften geleistet zu haben, ist ein unbestreitbares Verdienst des vorliegend besprochenen und durchweg empfehlenswerten Bandes, der viele Anregungen auch für nichtbayerische Forschungen beinhaltet – und zu weiteren Vergleichen anregt. Nicht zuletzt wird man diese Erkenntnisse auch wieder mit den festeren und anderen losen Adelsstrukturen, wie sie mit dem estländischen und dem „Cliquen“-Beispiel angeführt wurden, kontrastieren können. Diese Rezension stammt von Dr. Claus Heinrich Bill, M.A., B.A., und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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