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Schlesischer Adel vom Mittelalter bis zur ModerneNobilitäre Beharrungstendenzen im politischen WandelIm Jahre 1835, mitten im „langen XIX. Jahrhundert“, [1] das sich anschickte, eine grundlegende Veränderung der Jahrhunderte alten Privilegien des schlesischen Adels in der Geschichte einzuläuten, erschien folgende Bemerkung in einem anonymen Buch: „Es ist natürlich, daß die Offizieruniform in Preußen mehr geachtet wird als jede andere Civiluniform, da man stets noch gewöhnt ist, diesen Stand als Repräsentant des Adels anzusehen; denn wenn auch in der Armee - die Landwehr abgerechnet - [nur je]der 50ste Offizier ein Bürgerlicher ist, so ist dies doch nur eine Ausnahme, meist noch aus der Kriegszeit her; Noth hat kein Gebot! Es war einst im seligen Hesperus eine Zusammenstellung der verschiedenen Geburtsverhältnisse der Offiziere nach den Graden und den Regimentern gemacht, welche dies mit Zahlen bewieß, darauf hat aber der Major v.Busson bewiesen, daß die Mehrzahl der Adligen in der Armee daher komme, daß im Examen die reichen Adligen sich als die vorzüglichsten bekunden, nach diesen die armen Adligen, weil sie sich jetzt anstrengen, und zuletzt die Bürgerlichen, weil nur solche, zum Militair gehen, die sich zum Studiren zu schwach fühlen. Diese Darstellung eines Sachkundigen ist für den Adel von der größten Wichtigkeit gewesen, man sieht zugleich daraus, daß der Adel am liebsten dem König dient, ihn also am meisten liebt, die Bürgerlichen aber erst sich selbst, außer wenn der König einmal in Gefahr kommt. Welche Verdienste sich der schlesische Adel um den König erworben, hat auch besonders der Baron v.Lüttwitz aus Riep herrlich in seinen Schriften über Staatsverwaltung gezeigt; der Adel hat nehmlich einen seiner Söhne schon vom 12. Jahre an dem Cadettenhause oder dem Junkerstande gewidmet, und das Opfer gebracht, Offizier zu werden. Wahrscheinlich ist es diesen chevaleresquen Herzensergießungen zu danken, daß das schlesische Cürassierregiment sich noch ganz rein erhalten hat. Die Rangliste dieses ausgezeichneten Regiments sieht so vornehm aus wie die der Garde; keine einzige Lücke ist darin zu finden, die bei manchem andern Regiment ein fehlendes `v.´ macht. Zwar sehen die Commandeurs nach Möglichkeit auf den Glanz ihrer Regimenter zu wirken, indem sie die Bürgerlichen nach Möglichkeit entfernt halten; doch darf es der König nicht erfahren. So wollte einst ein Herr Rappe in ein Cavallerieregiment eintreten, allein der Commandeur wieß ihn damit ab, ich dulde in meinem Regiment keine Rappen; doch der König hat ihm dies Bonmot damit sehr versalzen, daß er grade diesen Rappen behalten mußte, da sonst nichts gegen ihn zu sagen war. Daher meine Herren Standesgenossen: Leise, Leise, mit Bedacht!“ [2] Was in diesem zeitgenössischen Text angesprochen wird, umfaßt die ganze Bandbreite der Transformationen, dem der Adel unterworfen war, nicht ohne kritisch-ironischen Unterton. Die Privilegien der Herkunft wurden durch die Bereitschaft zur Leistung verdrängt, wenngleich sich der Adel in Diplomatie und Militär Reservatrechte in Form eines „cultural lags“ zu sichern wußte - bis 1918 und dem Untergang der Monarchien, ja oft noch darüber hinaus bis 1945 und bis zur Vertreibung und Enteignung. So changiert der Text zwischen alter ständegesellschaftlicher Ordnung durch die Zementierung sozialer Ungleichheit und modernen Anklängen des Konkurrenzdrucks gebildeter Nichtadeliger, die im XIX. Säkulum eine immer größere Bedeutung erhielten und damit auch zugleich nach politischem Mitspracherecht strebten. Freilich ist dies nur ein kleiner sowie verklärender Aspekt der schlesischen Adelsgeschichte, denn nicht aus Herzensliebe gab der Adel seine Söhne in die militärischen Jugendschmieden, sondern weil nachgeborene Söhne ökonomisch schlecht gestellt waren und ihnen kaum mehr etwas übrig blieb, als ihr Leben als Offizier hinzubringen und - bestenfalls oder schlimmstenfalls, je nach Sichtweise - es auch für den Herrscher in einer der vielen preußischen Kriege hinzugeben. Aber diese schlesische Adelsgeschichte, von der die Rede ist, die in den verflossenen Jahren, vor allem im XXI. Säkulum, neben der der sächsischen Adelsgeschichte zu einem Schwerpunkt der deutschen Adelsforschung, auch auf internationaler Bühne, geworden ist, ist weiterhin en vogue und produziert in schöner Regelmäßigkeit neue Werke. [3] Zwei ansprechende Beweise für diese These lieferten im Sommer 2014 auch die beiden neuen und opulent ausgestatteten Begleitkataloge für zwei thematisch eng miteinander verzahnte größere Ausstellungen mit den Titeln „Adel in Schlesien. Mittelalter und Frühe Neuzeit“ [4] sowie „Adel in Oberschlesien und der Oberlausitz. Mittelalter, Neuzeit, Gegenwart“, [5] herausgegeben von deutsch-polnischen Kooperationspartnern und Museen, beide jeweils zweisprachig polnisch-deutsch, beschickt von dutzenden von öffentlichen und privaten Leihgebern aus Deutschland und Polen gleichermaßen. Neben populärwissenschaftlichen Aufsätzen, so beispielsweise von Simon Donig M.A. von der Universität Passau zur Geschichte des Adels durch die Zeiten (1740-1945), von dem freiberuflichen Bauforscher Dr. phil. Matthias Donath über die oberlausitzischen Schlösser und Herrensitze (mit Vergleichsphotos von früher und heute) oder von dem polnischen Historiker Prof. Dr. Jan Harasimowicz von der Universität Breslau über die frühneuzeitliche Sepulkralkultur des schlesischen Adels finden sich in den Bänden zahllose Exponate der beiden Ausstellungen abgebildet und detailliert beschrieben, so daß in den beiden Bänden sowohl theoretische Erörterungen als auch die materielle Kultur vorgestellt wird. Dabei illustrieren die Farbphotos akzentsetzend die schriftlichen Ausführungen auf gekonnte und für die interessierte und nicht historisch geschulte Öffentlichkeit adäquate Weise. Die Vielfalt der behandelten Themen, unter deren Oberbegriffen die Exponate zusammen gefaßt wurden, ist äußerst breit aufgestellt und deckt damit nahezu alle mannigfaltigen Facetten des schlesischen und oberlausitzischen Adelslebens ab, sei es im Bereich Feudalstruktur, Herrensitze, Kleidung, Wissen, Kunst, Musik, Bildung, Industriekultur, Landschaft, Adelsmacht, Stiftungen, Karitativität, Nationalsozialismus, Barock, Technik oder Architektur. Die Konkreta und Abstrakta, die hier vorgestellt werden, präsentieren damit ein Kaleidoskop des schlesischen Adels, wie es nicht nur oben im Zitat entworfen wurde, sondern wie es weit darüber hinaus geht. Dabei kommt selbstverständlich auch die besondere Nähe des schlesischen Adels zur Montanindustrie zur Sprache, das also, nach Berghoff, eher für den Adel im langen XIX. Jahrhundert ungewöhnliche Engagement als Unternehmensführer kapitalistisch orientierter Industriebetriebe. [6] So heißt es bei Wilhelm Heinrich Riehl 1855 zwar zuerst noch: „Der feste Grundbesitz ist die Basis der Solidität der Aristokratie. An ihr haftet die aristokratische Selbstständigkeit. Durch diese ist wiederum der aristokratische Beruf großentheils bedingt“, dann aber, bereits wenige Zeilen später: „Zu dem Grundbesitz gesellt sich in neuerer Zeit die große Industrie. Sie öffnet dem begüterten Adel ein neues Feld des unabhängigen Besitzes, der beneidenswerthesten socialen Wirksamkeit. Und wie das Ackergut ihn dem Bauern nahe bringen sollte, so sollte er hier durch die Solidarität der Interessen der natürliche Patron des kleinen Gewerbemannes werden und des tagelöhnernden Arbeiters im Kittel. Man hat sich vielfach gewöhnt, in den Reichthümern des Bürgerstandes mehr das flüssige Kapital, in denen des Adels mehr das ruhende zu sehen, dort die Thätigkeit des Erwerbers als das Charakteristische zu erfassen, hier die Wahrung des Erworbenen, des festen Grundstockes. Die Sache hat bedingungsweise eine tiefe Wahrheit. Auf jedem größeren Besitz haftet gleichsam die moralische Schuldverpflichtung, einen Theil desselben neben dem egoistischen eigenen Genüsse zum Besten der Gesammtheit, der Gesellschaft in Umlauf zu setzen.“ [7] Wie Berghoff nachwies, fruchtete indes dieser Appell an die moralische Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft wenig bis gar nicht: Industrielles Engagement blieb, bis auf einige schlesische „Industriebarone“, [8] die Ausnahme. Diese aber zählten mit zu den wohlhabendsten Personen des Deutschen Reichs, verfügten auch über eine längere Bergwerkstradition, modernisierten durchaus auch ihre Betriebe, so daß sie, im Gegensatz zu den an die Landwirtschaft gebundenen Verarbeitungsindustrien konkurrenzfähig blieben, allerdings eben auch nicht als Verarbeitungs-, sondern als Rohstoffindustrie funktionierten, d.h. auf schnelle Ausbeutung und Endlichkeit der Ressourcen ausgerichtet. Zumindest für die schlesischen Magnaten galt daher, daß die in der Romantik noch so affektvoll geladene Atmosphäre der Landschaft, z.B. in der Kunst eines Caspar David Friedrich, jetzt in eine Atmosphäre des Werkgeistes transformiert wurde. Bilder aus Adelsbesitz zeigten jetzt nicht mehr zerklüftete, natürlich anmutende, als ursprünglich konnotierte Landschaften ohne Menschen oder nur mit wenig Menschen, sondern rauchende Schlote, ein Zeichen von Gewerbefleiß und „Indüstriosität“. [9] Kritisch zu besehen ist an den beiden Prachtwerken in Katalogform indes nur wenig. Der zumeist kunsthistorische Schriftstil der Texte mit den durchweg exakten Deskriptionen und zaghaften historischen oder kulturwissenschaftlichen Einordnungen bleibt zumeist wohltuend sachlich und gleitet nur selten in eine Art Nänie, eine Totenklage ab, die dann, wie im Falle eines Aufsatzes des emeritierten Osnabrücker Literaturwissenschaftlers Dr. Klaus Garber, in einem standesapologetischen Sinne als Essay mit dem Bedauern und Beschwören eines Adelsmythos einhergeht, der auch in Zeiten der Ständegesellschaft hätte verfaßt sein können, sich in jedem Falle aber nahtlos in die Klage der „untergegangenen“ Adelswelt in Schlesien seitens der Vertriebenen einfügt und ein praktisches Exempel adeliger Memoria und Gedächtniskonstruktion darstellt. So heißt es an einer Stelle (im Katalog „Adel in Schlesien“, Seite 30), freilich nicht ohne poetische Einfühlung in der Wortwahl, beispielsweise: „Die Kultur des Adels ist ein Gesamtkunstwerk. Kein Element, das nicht Bestandteil eines Ensembles wäre; keines, das nicht beitrüge zum Bilde eines Mikrokosmos, dem zu begegnen unausweichlich ein Gefühl des Glücks und des geistigen Wohlbehagens hervorrufen würde“. Das mag zwar korrespondieren mit dem ursprünglichen Sinn des Wortes Adel als etwas Edlem, zu dem man aufschauen kann und aufschauen sollte, verklärt aber gleichwohl trotzdem „den Adel“ in einer Weise, die die zulässigen Grenzen einer wissenschaftlichen Darstellung mindestens tangiert, wenn nicht unzulässig distanzlos verschmelzend und amalgamierend überschreitet. Doch das sind Marginalien von Devianz. Ebenso sind dazu einige Bildverwechselungen zu zählen, sie kamen im Band „Adel in Schlesien und in der Oberlausitz“ vor. Hier sind selten Beschreibungen zu den Bildern verwechselt worden, beispielsweise auf Seite 174-175 (Exponate A123 und A124) sowie auf Seite 304 (Exponate C41 und C42); das aber sind Fehler eher technischer Natur, die vernachlässigbar sind angesichts des großen Wurfs, welcher den beteiligen Museen und Institutionen mit den beiden Katalogen gelungen ist und der eindrücklich auf die kulturellen Leistungen, aber auch das politische Versagen des schlesischen Adels (z.B. im Nationalsozialismus) hinweist. Von besonderer Bedeutung ist, davon künden auch die zahlreichen Grußworte, daß mit diesem binationalen Doppelprojekt auch eine ganz praktische Aussöhnung in deutsch-polnischer Hinsicht stattfindet. Dies ist Völkerverständigung learning by doing in einem transnationalen Raum und auch anhand eines im Grunde transnationalen, ja europäischen Themas und historischen Rahmens. Diese Rezension erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung und stammt von B.A. Claus Heinrich Bill (Kiel). Annotationen:
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