Institut Deutsche Adelsforschung
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Die Christlich-Deutsche Tischgesellschaft 1811

Kurzportrait einer geselligen politischen frühkonservativen Vereinigung des 19.Jahrhunderts

Der konservative Publizist Adam Müller, der bedeutendste Interpret der politischen Romantik, und der Dichter Achim v.Arnim waren 1811 die Initiatoren einer der ersten konservativen Gemeinschaften von meist adeligen Männern, die sich um die gemeinsame politische Idee scharten. Aus Abwehrreaktionen gegen die Folgen und Ansichten der französischen Revolution von 1789 und die Stein-Hardenbergischen Reformen hatte sich die Motivation dazu ergeben. Schon Ende 1810 teilte Achim v.Arnim seine Gründungsabsicht seinen Kasseler Freunden, den Gebrüdern Jacob und Wilhelm Grimm, mit.

Sein Plan war es, die Wiederkehr des Krönungstage des Königreichs Preußen (18.Januar 1701) für die Errichtung der Gesellschaft zu nutzen. Man wollte sich zu politischem Diskurs jeweils dienstags alle zwei Wochen in einem Berliner Gasthaus (dem Casino) versammeln und den Gründungstag der Gesellschaft in Bezug auf das historische Datum jährlich festlich begehen.

Als Vorsitzender der Tischgesellschaft fungierte ein Sprecher. Dieser ernannte unter anderem einen Beamten, dessen Aufgabe es war, sich mit dem Wirt über die Bestellungen zu einigen, ein Gastbuch zu führen und die Ordnung an der Tafel zu überwachen. Fremde waren stets willkommen und konnten als Mitglieder zuerst nur durch Ballotage (Kugelung) eingeführt werden, bald aber lediglich durch die Fürsprache von mindestens zehn Mitgliedern. Weiter legte v.Arnim für künftige Mitglieder fest:

  • "Die Gesellschaft versteht unter ... Wohlanständigkeit, daß es ein Mann von Ehre und guten Sitten und in christlicher Religion geboren sei, unter ... Angemessenheit, daß es kein lederner Philister sei, als welche auf ewige Zeiten daraus verbannt sind. Jedes Mitglied ist zu jeder Zeit berechtigt, ohne Angabe der Gründe aus der Gesellschaft zu treten. Die Erklärung von zehn Mitgliedern mit ihres Namens Unterschrift, daß jemand ein Philister geworden, bestimmt dessen Trennung von der Gesellschaft, was nimmermehr hoffentlich der Fall sein wird. Gesang ist willkommen, Frauen können nicht zugelassen werden."
Der erste Aufruf der Gesellschaft wurde bereits vor ihrer Gründung am 18.Januar 1810 von 46 Gründungsmitgliedern unterzeichnet und an Gleichgesinnte verschickt, die zur Teilnahme an leiblichem und geistigem Mahl aufgefordert wurden. Die ersten Mitglieder waren: Ludwig Achim v.Arnim, W. v.Voß, Clemens v.Brentano, G. v.Bülow, v.Dalwigk, v. Savigny, v. Röder, v. La Roche, Graf v.Arnim, v.Clausewitz, v.Voß, C. v.Arnim, v.Gerlach, v.Hedemann, Graf v.Brühl, Prinz Lichnowski, Adam Müller, Kleist, Pistor, L. Beckedorff, Pr. Weiß, Möllendorff, Otto, Dr. Heinrich Meyer, Fr. Schulz, Reimer, Staegemann,:Wollank, Zelter, Schwink, Alberti, Eichhorn, Reichardt, Grapengießer, Pfuel, Büry, v.Hymmen, v.Röder, Vogel, Wißmann, Hermensdorff, Göschen, Genelli, v.Zschock, Fichte und Siebmann.

Über diese Mitglieder und ihre Beziehungen untereinander schrieb Reinhold Steig (Quellenangabe siehe unten) im Jahre 1901 folgende Retrospektive: "Man sieht: die Tischgesellschaft setzte sich aus den vornehmen Kreisen Berlins, denen des Geburtsadels, des Militärs und der bürgerlichen Aristokratie des Gelehrten-, Künstler-, Schriftsteller- und Beamtenthums, zusammen.

Voran Prinz Radzivil, Prinz Lichnowski und andere Vertreter des hohen Adels, die die Stützen der preußischen Kriegsparthei waren. In dem Hause des Grafen Arnim (-Boitzenburg) fanden sich Scharnhorst, Gneisenau, Grolmann, Boyen und eine ganze Familie Röder zu patriotischen Berathungen zusammen, und so finden wir auch Zwei des Namens Röder, wohl Ferdinand v.Röder, damals Offizier im Garde-Jäger-Bataillon (das noch in Berlin stand), begeisterter Verehrer von Clausewitz, 1813 gefallen, und Wilhelm v.Röder, der gleichfalls 1813, bei Culm, als Major fiel, unter den Mitgliedern der Tischgesellschaft.

Ebenso Clausewitz selbst, seit kurzem als Lehrer an die Kriegsschule nach Berlin berufen und mit der Gräfin Marie v.Brühl vermählt. Zu Clausewitz’ Freunden zählten ferner die Offiziere v.Hedemann, nachmals der Schwiegersohn Wilhelm v.Humboldt’s, Hauptmann v.Tiedemann, der von Witz und Humor sprudelnde junge Leopold v.Gerlach, den Clausewitz als den drolligsten und liebenswürdigsten Menschen, den er je gesehen, schildert.

Ferner der ebenso geistig angeregte wie rücksichtslos drauflosgehende Major v.Möllendorff; und von der Berliner Garnison der Capitän v.Horn, v.Dalwigk, v.Bardeleben, und Major v.Bülow, Gouverneuer des Prinzen Friedrich von Hessen, im Königlichen Schlosse wohnhaft. Und schließlich Ernst v.Pfuel, der treue Freund Heinrich’s v.Kleist.

Den Uebergang vom Adel zum Schriftstellerthum bildeten Heinrich v.Kleist und Achim v.Arnim, zu denen Adam Müller und Clemens Brentano gehörten; neben Achim auch sein älterer Bruder Carl, Pitt-Arnim genannt, der sich als Schriftsteller, und dann als Theaterintendant einen Namen machte. An Adam Müller empfohlen war von Frau v.Berg und ihrer Tochter, der Gräfin Voß, der Hofrath Dr. Ludolph Beckedorff, Begleiter eines mecklenburgischen Grafen Voß ..., aus dem Kreis Adam Müller’s, von Schütz’(-Lacrimas) ... Beckedorff und Schütz wurden nachmals die gesinnungsverwandten Mitarbeiter Adam Müller’s an dessen seit 1816 erscheinenden Staatsanzeigen; in den zwanziger Jahren war Beckedorff vortragender Rath im preußischen Cultusmisterium und nahm Abschied, als er zum Katholicismus übertrat.

Als Dichter betrachtete sich auch der Geheime Staatsrath Stägemann, mit dem sein Studiengenosse, Hausfreund und Hülfsarbeiter Friedrich Schulz, der sog. Theater-Schulz, unzertrennlich zusammengehörte. Stägemann hatte schon in Königsberg, als dort die Staatsregierung war, viele von den jetzigen Mitgliedern der christlich-deutschen Tischgesellschaft in seinem Hause gesehen, aus dem bürgerlichen Beamtenthum wie aus der adligen Gesellschaft. Wir wissen es von Kleist ...

Seine Stieftöchter Mine und Lotte Hensler waren die Frauen des Staatsraths Alberti und des Geheimen Postraths Pistor, bei dem Arnim und Brentano wohnten; Pistor’s Schwager wurde, als Gatte seiner Schwester v.Seegebarth, der nachmalige Geheime Finanzrath v.Zschock in Berlin. Mit Stägemann verschwägert war der Bankier Schwink in Königsberg, dessen schöne Tochter Auguste einst Arnim verehrt hatte, und die die Gattin des Regierungs-Präsidenten Wißmann geworden war: beide, Schwink und Wißmann, weilten 1810 in Berlin, der letztere um sich einer Verdächtigung seiner Amtsführung beim Staatskanzler zu erwehren.

Brentano’s mütterlicher Oheim Carl v.Laroche lebte als preußischer Bergrath in Berlin, ein Freund des Humboldt’schen Hauses. Von weiteren Beamten der Kriminalrath A. Otto, die Kammergerichtsräthe v.Hermensdorff und Joh. Albrecht Friedrich Eichhorn, 1810 zum Syndikus der Universität berufen und späterer Cultusminister, Fr. W. v.Bärensprung, der Prediger Grell von der Garnisonkirche, die Kammergerichtsassessoren Wollank und Friedr. Siegesmund Siebmann, der letztere damals unter dem Namen v.Grunenthal geadelt, bis hinauf zum früheren Minister v.Reck. Wir bemerken besonders den Rendanten Louis Vogel, Adam Müller’s Schul- und Jugendfreund.

Siebmann und Wollank hatten sich auch schon schriftstellerisch bethätigt. Von Siebmann war 1810 ein Band Novellen und im Pantheon ein Zwischenspiel, beides aus Cervantes übersetzt, erschienen. Wollank, der den Ruf eines trefflichen Musikers und Componisten genoß, schrieb die im Pantheon mit der Chiffre -k versehene Besprechung einer Oper Mozart’s. Er war ein getreuer Freund der Singakademie und der Liedertafel, die die meisten Mitglieder der christlich-deutschen Tischgesellschaft an sich gezogen hatte. Daher finden wir auch Zelter zunächst in der neuen Vereinigung; von akademischen Künstlern nur Genelli und den aus Hanau stammenden Maler Fritz Bury.

Ganz neue Mitglieder stellte die soeben gegründete Universität. Unter den einheimischen Gelehrten war Fichte durch seine Reden an die deutsche Nation eine markante Berliner Persönlichkeit geworden. Die Professoren Grapengießer und Wolfart, der letztere ein überzeugungstreuer Anhänger des Mesmerismus, galten als die wissenschaftlichen Aerzte ... Carl Friedrich v.Savigny hatte den Ruf nach Berlin angenommen und sah mit Arnim und Brentano häufig auch Heinrich v.Kleist bei sich zu Gaste."

Die sich so zusammengefundene Tischgesellschaft blieb fortan ein Kreis elitärer Intellektueller, der sich um das inoffizielle Mitteilungsblatt der Tischgesellschaft scharte, welches Heinrich v.Kleist unter dem Titel "Berliner Abendblätter" herausgab. 1816 fand die Tischgesellschaft eine politische Nachfolge in der sogenannten "Maikäferei".

Von der Gründung einer Partei im modernen Sinne war man noch weit entfernt, denoch kann die Tischgesellschaft als erstes Forum gleichgesinnter Konservativer angesehen werden, welches sich später in verwandelter Form in anderen politischen Korporationen wiederfand.

So war die Tischgesellschaft zwar nie mehr als ein passiver Debattierklub, aber erste Grundzüge des gemeinsamen Gedankenaustausches und Wollens wurden hier eingeübt - ein bisher für den Konservatismus in Preußen ungewöhnliches Vorgehen, welches erst durch die Infragestellungen adeliger Privilegien durch das Jahr 1789 hervorgerufen worden war.

Literatur und Quellen: Philipp Eberhard: Die politischen Anschauungen der christlich-deutschen Tischgesellschaft. Erlangen 1937 (Dissertationsdruck) --- Reinhold Steig: Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe, Berlin und Stuttgart 1901), S.21-27 --- Heike Dieckwisch: Preußischer Konservatismus zwischen Reform und Reichsgründung 1800-1876 (Kurs 4143 der FernUniversität Hagen, Hagen 1999, S.21 --- S. Neumann: Die Stufen des preußischen Konservatismus. Ein Beitrag zum Staats- und Gesellschaftsbild Deutschlands im 19.Jahrhundert, Berlin 1930, S.77


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