Institut Deutsche Adelsforschung
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Mecklenburgische Edelleute als Vitalienbrüder 1390-1400

Über Herkunft und Funktion Adeliger Seeräuber der Ostsee

Hinter dem landläufig von Sagen positiv und abenteuerlich geprägte heutige Bild der sogenannten Vitalienbrüder oder Seeräuber um Klaus Störtebeker verbirgt in sich ein recht bemerkenswertes spezifisch norddeutsches soziales Phänomen: Der Anteil des Adels an den Kaperunternehmungen in Nord- und Ostsee der Frühen Neuzeit, genauer gesagt zur Endzeit des 14.Jahrhunderts.

Diese spezielle Art der Seeräuberei machte sich vor allem im Spätmittelalter in der Ostsee bemerkbar und das Aufkommen adeliger Vitalienbrüder muß unter den spezifischen Faktoren ihrer Zeit betrachtet werden. Ihr Name rührte wahrscheinlich von den Viktualien oder Lebensmitteln, mit denen sie sich als Selbstversorger unterhielten. Ein anderer Name nennt sie bis heute niederdeutsch "Likedeeler", weil sie ihre auf See eroberte und gekaperte Beute offensichtlich "to liken Deelen" - zu gleichen Teilen - unter sich aufteilten. Entstanden waren jene Seeräuber im 14.Jahrhundert, als in Norddeutschland noch nicht die Territorialherrschaft, sondern eine persönliche Herrschaft starker Fürsten oder Grafen herrschte. Das Recht war zudem nicht befriedet und einheitlich, sondern die Stärke eines Herrn, der sich noch nicht Landesherr nennen konnte, hing weitestgehend von seiner Präsenz vor Ort, von seiner Macht, seinem Einfluß und der Anzahl seiner Lehnleute ab.

Der Niederadel, in dieser Zeit zwischen den Bauern und dem höher stehenden Adel befindlich, schloß sich daher, so gut er es abzuschätzen vermochte, einer starken Partei an, leistete ihr Waffenfolge, wurde durch sie geschützt und hoffte zugleich, Macht und Einfluß der eigenen Geschlechtsverbandes zu untermauern und zu verfestigen. In einer vergangenen Folge unserer Offlinezeitschrift Nobilitas berichteten wir bereits von den v.Zülow, die zu selben Zeit mehrfach ihre Lehnsherren wechselten, weil sie noch kein Nationalgefühl kannten, folglich also auch keinen Verrat. Ähnlich zeigte auch die Seeräuberei des angesprochenen Zeitraumes ein Wechsel der Kriegsfronten und Gefolgschaften nach Gutdünken. Wie die kleinen Edelleute zu Land, die einst ähnlich den v.Schwerin zu einer eigenen Grafschaft aufstiegen und selbst Lehnsleute akquirierten, so entwickelten sich die Likedeler zur See ebenfalls zu einem Machtfaktor und zu einer Bedrohung für die Monopolherrschaft der Hanse zur See.

Als Voraussetzungen für die Seeräuberei fallen dabei zeit- und landschaftsspezifische Faktoren auf, ohne die es die Vitalienbrüder wahrscheinlich nicht gegeben hätte: da war zunächst einmal die geographische Struktur des Ostseeraumes mit vielen kleinen Inseln und Buchten und das von einer Schutzflotte beispielsweise der Hanse nur relativ schlecht zu kontrollierende offene Meer. Wirtschaftlich lockte der ausgedehnte Schiffsverkehr zu Handelszwecken mit wertvoller Ladung jede Art von Räubern an. Politisch begünstigt wurden die Vitalienbrüder durch eine unausgesetzte Heterogenität der Ostsee-Anreinerherrschaften. Bei ihnen gab es nur selten langfristige Absprachen oder Bündnisse, oft zerfielen Zusammenschlüsse und neue wurden in kurzer Zeit nach Gutdünken und auf schnellen Erfolg hin ausgerichtet gebildet. Da es wie erwähnt zudem noch keine zentralen Landesherrschaften gab, verbündeten und verfeindeten sich Städte, Fürsten, Bistümer und Adelsgruppen, schier unendliche Bündniskombinationen wechselten einander ab, selten gab es anfänglich einen einheitlichen Willen, eine dauerhafte Koalition, eine wirkungsvolle Bekämpfung der Vitalienbrüder.

Wenn viele der Seeräuber aus Mecklenburg kamen, so verwundert dies nicht: Die soziale Lage in Mecklenburg begünstigte ebenfalls die Seeräuberei. Der Adel sah sich durch Bevölkerungsrückgang, Abwanderung und auch durch eine Abnahme der Feudelrenten in seiner Existenz gefährdet, er begann dem Raubrittertum zu huldigen und seine Einnahmen auf andere Weise zu sichern. Ein Ausweichen auf See schien für manchen Edelmann eine lockende Alternative zu sein und eine höhere Rendite seiner Aktivitäten zu versprechen. Wie wir im Folgenden sehen werden, handelte es sich jedoch bei den Likedeelern nicht zwangsläufig um verarmte Edelleute.

Beobachten läßt sich das Phänomen der Likedeeler in jener Zeit, die von etwa 1392 bis 1440 reicht, dies war die Hochzeit der Seeräuberei. Man kann dabei nach zwei Generationen, zwei Epochen und auch zwei geographischen Begriffen unterscheiden.
Zwischen 1392 und 1395 findet der Kaperkrieg der Vitalienbrüder in der Nordsee statt, die Hauptleute der Likedeeler waren überwiegend wohlhabende, zumindest über gewisse freie Kapitalien verfügende mecklenburgische Niederadelige, die im Auftrag und mit dem Einverständnis der mecklenburgischen Fürsten - vielfach ihren Lehnsherren - handelten. Einen zeitlichen und geographischen Einschnitt bietet dann der Frieden von Falster und Skanör (zwischen Dänemark und Mecklenburg) vom 20.Mai 1395. Damit war den Likedeelern die rechtlich sanktionierte Tätigkeit der Kaperei beendet worden. Sie blieben trotzdem zusammen und verlegten sich jetzt auf eigene Rechnung auf die Seeräuberei in der Nordsee. Erst als sie 1398 von der militärisch überragenden Kriegsmacht des Deutschen Ordens bezwungen wurden, lösten sich die Vitalienbrüder in ihrer damailigen Organisation und personellen Zusammensetzung auf. Viele Adelige gingen in dänische Kriegsdienste über, die erste Generation Likedeeler war Geschichte geworden. Wir haben es also bei den älteren Vitalienbrüder nur mit dem relativ geringen Zeitraum 1390 bis 1400 zu tun.

Gänzlich in eigenem Auftrag seeräuberten nun ab etwa 1395 andere Likedeeler in der Nordsee vor Ostfriesland und konnten sich bis 1435 behaupten, als eine große hansische Strafexpedition den Vitalienbrüdern ein Ende bereitete. Vor allem die zweite Generation ist unter dem Namen der Vitalienbrüder bekannt geworden, zu ihr gehört auch Klaus Störtebeker, der 1401 in Hamburg publikumswirksam mit vielen seiner Gesellen hingerichtet worden war. Er prägt bis heute das Bild der Likedeeler, ihren Ausgang aber nahmen sie eigentlich im mecklenburgischen Adel unter ganz anderen Vorzeichen.
Interessant ist bei Betrachtung der ersten Generation die Identität der Anführer der Vitalienbrüder, ihr familiäres Umfeld, ihre Legitimation und ihr persönlicher Werdegang.

Wie waren Adelige zu Seeräubern geworden? Als 1392 die Städte Wismar und Rostock Kaperbriefe ausstellen und jedem Schutz versprechen, der Dänemark schädige, fanden sich die Likedeeler in vielen kleinen oder größeren Gruppen zusammen. Neben Bauern und Bürgern waren es auch Edelleute, denn oft verfügten nur sie über die nötigen Geldmittel, um in Schiffe und Ausrüstung zu investieren, noch bevor die erste Beute die Ausgaben decken konnte. Da das Engagement als Vitalienbruder zudem öffentlich und gesellschaftlich legitimiert war, sah der Adel kein Anzeichen, weshalb er sich nicht an dieser vielleicht doch materiell vorteilhaften Unternehmung beteiligen sollte.

Als Hauptleute und Anführer der gewöhnlichen Seeleute sind bekannt geworden (Namen der Familien in der heutigen Schreibweise befinden sich in eckigen Klammern beigefügt):

  • im Jahre 1391: "Ritter Bosse Kaland, Arnd Stük, Rambold Sanewitz,  Hartwig Seedorf, Lippold Rumbshagen, Marquard Preen, Heinrich Lüchow, Bertram Stockeled und Claus Mylges".
  • im Jahre 1392: "Henning Manduvel [Manteuffel], Arnold Stuke, Nikolaus Mylges, Marquard Preen".
  • im Jahre 1393: "Clawes Mylres, Arnd Stuke, Hennynk Crabbe, Clawis Tymme, Hinrik Tydemans, Rode Kremer" und andere sowie einige familiär auch heute noch vermutlich recht eindeutig zuzuordnende Herren: "Hinrik van der Lu [v.der Lühe], Luder Ransouwe [Rantzau], Hans Meygendorff  [Meyendorff], Ketelhoid [Ketelhodt], Hennyng Norman [Normann].
Wenn es auch die Namen nicht alle einwandfei erkennen lassen: es waren nahezu sämtlich mecklenburgische Edelleute! Von ihnen ist Näheres über Marquard v.Preen bekannt, der aus Davermoor in der Grafschaft Schwerin stammte (später: Gut Gottesgabe), der einer rauflustigen Familie entsprossen war und in den Jahren 1392 bis 1394 als Hauptmann bei den Likedeelern auftrat. Auch der Ritter Bosse v.Kaland gehörte zu den Hauptleuten. 1387 und 1392 verkaufte er einige Ländereien in Mecklenburg, seine Frau verpfändete ihr Erbteil, denn er benötigte - wahrscheinlich zur Beschaffung der Kaperschiffe - viel Kapital. Schließlich gehörte er ab spätestens 1391 als Ritter ebenfalls zu den Likedeelern.

Immerhin bliebt interessant, daß es zuerst Mecklenburgische von Adel waren, die in legitimem Auftrag kaperten, sich aber später, als ihnen die rechtlichen Möglichkeiten genommen waren, von den Likedeelern zurückzogen. Als Raubritter zur See können diese Adeligen deshalb wohl kaum bezeichnet werden, diese Definition wäre wohl nur passend, wenn auch die zweite Generation, die überwiegend auf eigene Gefahr und Rechung geräubert hatte, von Adeligen geführt worden wäre. Dies war aber nicht der Fall. Bedauerlicherwies ist das Bild der Likedeeler heute den historischen Ereignissen entfremdet worden und wird verzerrt dargestellt. Eine Erinnerung an die Nobilität bei den Vitalienbrüdern soll deshalb dieser Artikel wachhalten.

Autor: Claus Heinrich Bill M.A. B.A.

Benutzte Quellen für den vorliegenden Aufsatz:

  • Die in den Quellen erwähnten Namen von Vitalienbrüdern, in: Hans Chr. Cordsen: Beiträge zur Geschichte der Vitalienbrüder, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde, Jg.LXXIII, Schwerin 1908, S.22-30
  • Georg Christian Friedrich Lisch: Beitrag zur Geschichte der Vitalienbrüder und Landstädte am Ende des 14.Jahrhunderts, in: Jahrbücher des Vereins für meklenburgische (!) Geschichte und Alterthumskunde, Jg.XV, Schwerin 1850, S.51-61 mit einem Anhang: Die [v.] Preen auf Davermoor, in: Ebd., S.63-65
  • Matthias Puhle: Die Vitalienbrüder. Klaus Störtebeker und die Seeräuber der Hansezeit, 2.Auflage, Frankfurt am Main 1994

  • Petra Bauersfeld: Die gesellschaftliche Bedeutung der Vitalienbrüder im Wandel. Schriftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für die Laufbahn der Grund- und Hauptschullehrer in Schleswig-Holstein, angefertigt Flensburg 22.September 1997, S.1-78

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